Gedenktagkonzert des Dresdner Kreuzchores
Es scheint momentan, als gelänge Kreuzkantor Martin Lehmann alles. Dabei ist es keineswegs Glück oder nur ein momentanes »Händchen«. Davon zeugten am Sonnabend im Gedenktagkonzert (zum Tag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945) zum Beispiel die Gregorianischen Choräle Lux aeterna und Requiem aeternam, welche die Männerstimmen vortrugen – welcher Knabenchor kann damit schon aufwarten, dazu noch so sicher? Es genügt nicht, Gregorianik zu lernen – man muß sie verstehen, verinnerlichen!

Photo: Kreuzkirche Dresden
Am besten ist dieses Gedenkkonzert wohl mit dem Attribut »beseelt« beschrieben. Und das in vielfacher Hinsicht: von der Darbietung der Werke über die Verbindung der Programmfolge waren innerer Kern, Aussage und äußerliche Daten bis hin zur Historie und Rezeptionsgeschichte eingebunden – alles ganz wesentliche Aspekte, für die Entwicklung des Chores ebenso wie für eine lebendige Traditionspflege. Dazu zählt ganz explizit die Erinnerungskultur – der Gedenktag und wie wir ihn begehen wollen, wird immer wieder hinterfragt. Es gilt nicht, solche Fragen zu verhindern und an einem starren Mahnen festzuhalten, Fragen müssen zugelassen und beantwortet werden. Gegebenenfalls immer wieder.
Martin Lehmann hatte für dieses Jahr ein Programm aus vier Werken zusammengestellt. Zentraler und Ausgangspunkt war auch diesmal Rudolf Mauersbergers Trauermotette »Wie liegt die Stadt so wüst«. Sie greift Kriegserlebnisse (bzw. der Verarbeitung von Eindrücken der Kriegsfolgen) unmittelbar auf und setzt sie in einen Dresdner Kontext (der Text entstammt den Klageliedern Jeremias). Aus der Trauer erwachend begann das Werk mit einem »Wie« im Piano, steigerte sich in emphatische Höhen (»Er hat sein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt«). Im Verlauf wie im Kontrast (»Warum«-Ruf) berührte dieser a-cappella-Gesang zutiefst, nicht nur jene, die den Krieg und das zerstörte Dresden noch erlebt hatten. Zur Tradition gehört es, daß mit dem Verklingen der Motette (»Elend«) das Geläut der Kreuzkirche erklingt.
Es war die einzige Zäsur an diesem Sonnabend, denn die übrigen Werke schloß Martin Lehmann unmittelbar oder mit knappen Pausen zusammen. Die beiden berührenden Gregorianischen Choräle um »Ewiges Licht« und »Ewige Ruhe« hatten eine ebenso fokussierende wie beruhigende Wirkung. Mit ihr, der »ewigen Ruhe«, ging es in Wolfgang Amadé Mozarts Requiem (KV 626) unmittelbar weiter. Das von Musikern der Sächsischen Staatskapelle Dresden begleitete Stück geriet – kein Widerspruch zum Gedenkanlaß – zur Freude aller Zuhörer. Die einen, die das Werk wenig kannten, erlebten eine großartige Wiedergabe mit einem großen Knabenchor – auch das ist nicht selbstverständlich! Wortverständlichkeit, Betonung, ja, selbst Phrasierung oder Atempausen – hier schien alles zu »sitzen«!

Photo: Kreuzkirche Dresden
Wer das Requiem bereits gut kannte (sicher nicht wenige Besucher) war dennoch verblüfft. Immer wieder hörte man danach etwas von »so noch nie erlebt« im Publikum. Das betraf nicht allein Dynamik oder die Solisten, sondern nicht weniger eine ausgefeilte Wahl von Rhythmus und Tempo, wie das kraftvolle Rex tremendae maiestatis (König schrecklicher Gewalten) oder das Confutatis maledictis (Wenn verdammt zur Hölle fahren), die Fuge im Communio war ebenso fein herausgearbeitet.
Unter den Solisten fielen besonders Yeree Suh mit ihrem glockenhellen, akzentfreien Sopran und Matthias Winckhler mit sicherem, geerdeten (Baß) auf. Ganz zu schweigen vom goldbronzenen Alt Annekathrin Laabs‘. Die kurzen Soli lebten nicht zuletzt von den zügigen, ausgeformten Übergängen, die Solisten (außerdem Magnus Dietrich, Tenor) fanden in Duos und Trios stimmig zusammen.
Kaum weniger als prächtig kann man die Begleitung seitens des Orchesters beschreiben. Selbst wer weiter hinten saß und nicht sehen konnte, wer oder wieviel (Trompeten, Hörner) Spieler im Einsatz waren, hatte seine Freude an diesem Klang. Vor allem aber war – wie schon in den letzten großen Konzerten des Kreuzchores – die dramaturgische Ausgestaltung bis in die instrumentale Begleitung spürbar.
Mit Arvo Pärts Da pacem Domine schlug Martin Lehmann einen Bogen in unsere Tage. Wie ein Engelsgesang mit den Sopran- und Altstimmen setzte das moderne Werk sogleich nach Mozarts Requiem ein, als gehöre es noch dazu. Gehörte es im Grunde ja auch.
13. Februar 2023, Wolfram Quellmalz
Auch in der kommenden Kreuzvesper wird ein Kruzianer mitwirken: Anton Matthes spielt am Sonnabend die Orgel. Weitere Mitwirkende: Florian Hartfiel (Baß), Jonathan Auerbach (Orgelbegleitung), OLKR i. R. Martin Lerchner (Liturgie)