Collegium 1704 mit Haydn und Beethoven
Wenn die Prager Musiker um Leiter Václav Luks einmal ohne ihren Chor kommen, fehlt vielen Besuchern schon etwas. (Keine Sorge, bei den nächsten Konzerten sind sie wieder mit dabei!) Wenn das Collegium 1704 dann noch in der Zeit aus seiner »gewohnten Umgebung«, also dem Barock, ausbricht, könnte man beinahe irritiert sein. Jedoch haben sie in der Vergangenheit zum Beispiel schon einige Male Mozart gespielt (keineswegs ein Barockkomponist) und beim Festival »Prager Frühling« vor zwei Jahren Smetana. Seit gestern steht nun fest: Beethoven und Haydn können sie durchaus.

Zeitgenossen: Leider sind (vermutlich) weder Joseph Haydn noch Ludwig van Beethoven Jane Austen begegnet! Bildquelle: Wikimedia commons
Natürlich ist es historisch informiert, was das Collegium 1704 spielt. In Sachen Instrumente geht es mit der Zeit, Geigen und Bögen sind also nicht von 1704, sondern entsprachen der Haydn- und Beethovenzeit, auch die Orchesteraufstellung war eine für Abonnenten ganz ungewohnte: erste und zweite Violinen links und rechts, kein Basso continuo, nur ein Cembalo rechts hinten (bei Haydn).
Joseph Haydns Sinfonie No. 98 (B-Dur), die zu den sogenannten »Londoner Sinfonien« gehört, verbreitete mit dem einleitenden Adagio eine dramatisch-opernhafte Atmosphäre – nicht das einzige Mal, daß Haydn nah bei Mozart schien. Mit dem silbrig perlenden Cembalo (Pablo Kornfeld) und vor allem ordentlichen Paukeneinsatz erfreute dieser Haydn mit spektakulärer Lebhaftigkeit! Václav Luks ließ den dramaturgischen Faden nicht los, gestaltete Crescendi über wachsende Rampen, schärfte mit Lust, die ergötzliche Flöte (Julie Braná!) erinnerte (quasi vorzeitig) schon einmal an Beethovens Andante molto moto aus der sechsten Sinfonie. Allerdings war Beethoven beim Konzert in London damals gar nicht dabei, wie auch Jane Austen nicht. Austen, die zur Uraufführung der Sinfonie gerade einmal sechzehn Jahre alt gewesen ist, erlebte nachweislich später ein Konzert in Bath, bei dem unter anderem Mozart und Haydn gespielt wurde. Leider erregte es ihr Interesse kaum. »I wore my crepe sleeves to the concert« war der einzige Kommentar dazu in einem Brief. Nun – sie hat eben nicht das Collegium 1704 gehört! Die im zweiten Satz enthaltene tänzerische Leichtigkeit über den tremolierenden Streichern ist ihr ebenso entgangen wie das Echo der Violoncelli oder die kadenzartig raffinierte Entwicklung des mehrteiligen letzten Satzes, bei dem Pauke, Konzertmeistervioline (Helena Zemanová) und Flöte immer neu wirbelten. Da hat sie etwas verpaßt!
Ludwig van Beethoven, vermutlich auf den Tag genau fünf Jahre vor Jane Austen geboren, hätte sich wohl – ob nun in London, Wien, Dresden oder Prag – am beherzten Auftakt seiner siebenten Sinfonie gefreut. Neben den Flöten durften nun die Waldhörner (Erwin Wieringa und Miroslav Rovenský) auftrumpfen. Doch außer den virtuosen Solostimmen und den effektvollen Überraschungen hatte Beethoven seinen Sinfonien geradezu veristische und subtile Stimmungsbilder eingepflanzt. Das Allegretto, von Robert Schumann später in einem Variationszyklus verarbeitet, wuchs in Stufen, schien aus Samt, Düsternis und Farbe zu entstehen und berührte subtil, aber doch ganz unmittelbar. Wiewohl die Pauke weiter herrlich antrieb und die Belebung noch verstärkte, ließ Václav Luks kein Detail im Tumult untergehen, arbeitete fugierte Passagen oder eine Punktierung sorgsam heraus – der Schwung ist nur dann frisch und verständlich, wenn er die Genauigkeit nicht verliert!

Photo: NMB
Genaugenommen ist die Annenkirche ja gar kein Raum für romantische Sinfonien, dennoch entwickelte das Collegium auch mit diesem Programm seine Unwiderstehlichkeit. Man fragte sich unwillkürlich, wie es damals in London oder Wien wohl gewesen sein muß, wie sich die Leute gefühlt haben mögen, die solche Musik erstmals hörten?
Noch schöner wäre es mit Zugabe gewesen, fast fühlt man sich schon verleitet, mehr zu wollen, einen Zyklus gar. Vielleicht nicht alle Sinfonien Joseph Haydns, aber alle Londoner?
14. Februar 2023, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert des Collegiums 1704 am 8. März in der Dresdner Annenkirche erklingen das Miserere von Antonio Scarlatti sowie Francesco Durantes Concerto a quattro in g und sein Requiem a due cori
CD-Tip: Collegium 1704, Václav Luks (Dirigent), Bedrich Smetana Må Vlast (Mein Vaterland), aufgenommen beim Festival Prager Frühling 2021, erschienen bei Accent, Rezension folgt
collegium1704.com/de/