Zwischen Salon, Konzertsaal und Theater

Pianist Till Fellner führt im Thêátre des Champs-Elysées Schubert und Beethoven auf

Ein Aufenthalt in Paris kann Überraschungen bergen. Für ein Festkonzert mit dem Insula orchestra angereist (Bericht folgt), stand der Rezensent vor dem Problem, wegen der Kurzfristigkeit keine unmittelbare Rückfahrt am Sonntag mehr zu bekommen, jedoch – man müßte schon sehr ahnungslos sein, keine Ideen zu haben, wie man den »überzähligen« Tag in Paris verbringen kann! Zum Beispiel in einer Klaviermatinée des Thêátre des Champs-Elysées mit Till Fellner, einem Pianisten, den Alfred Brendel einst einen »brillanten Schüler« nannte.

Till Fellner, Photo: © Gabriela Brandenstein

In Deutschland haben Matinéen den Vorteil, daß sie ein vollwertiges Konzert sind, aber den Nachteil, daß sie deshalb bis etwa ein Uhr dauern, manchmal länger. Entsprechend gibt es das Mittagessen etwas später (für den Rezensenten entfällt es oft, wenn er sofort schreiben muß). In Frankreich sind die Matinéen mitunter kürzer und finden ohne Pause statt – offenbar möchte man hier vom gewohnten Ablauf trotz Musik nicht zu weit abweichen?

Der Franzose nimmt auch seinen Mantel und die Tasche mit in den Saal und legt sie sich auf die Knie – sei‘s drum! Wenn man in den gediegenen, mit rotem Samt bezogenen Armstühlen des Thêátre des Champs-Elysées sitzt, wird so etwas doch nebensächlich!

Da wiegt die historische Fußnote, daß an diesem Ort ein Stück der modernen Ballettgeschichte seinen Ursprung feierte, als am 15. Mai 1913 die Premiere von Claude Debussys »Jeux« mit dem Ballets Russes (Choreographie: Vaslav Nijinsky) Premiere hatte, schon schwerer.

Ganz ohne Schwere spielte Till Fellner gestern die vier Impromptu D 935 von Franz Schubert sowie Ludwig van Beethovens »Waldstein-Sonate«. Das frühe Urteil Alfred Brendels schien sich zu bestätigen, doch hat der Pianist nicht nur Brillanz zu bieten, sondern vor allem eine Anschlagskultur und Noblesse kultiviert, die begeistert. Es schien mitunter, als würde er die Tasten streicheln, dabei (oder trotzdem) gelang es Till Fellner, Konturen unterschiedlicher Schärfegrade darzustellen, Schattierungen – gerade bei Schubert – auszuleuchten.

Im ersten der Impromptu zeichnete Till Fellner eine Dämmerungsstimmung, die indes bald aufriß, dem beherzten zweiten folgte das tänzerische dritte mit seinen miniaturhaften Variationen – überhaupt schimmert bei Schubert oft ein tänzerischer Ursprung, sei es ein Menuett, sei es ein Ländler, durch. Nach dem kurzen, die Variationen beschließenden Präludium krönte das vierte Impromptu die Folge – Till Fellner gelang eine stringente Verbindung rhythmisch belebender, wiewohl präziser Gestaltung – ein Vorgriff auf Beethoven – derweil die Schlußwendung als kleine Überraschung an Joseph Haydn erinnerte.

War Schubert schon ein feiner Ohrenschmaus, so steigerte sich dies mit Ludwig van Beethovens Opus 53 zu einem superben Hochgenuß, dem Till Fellner nun noch eine innere Spannung und Dramatik verlieh. Nach dem allein schon beeindruckenden Kopfsatz formte er aus den drei folgenden Sätzen ein eigenes Opéra, das (erneut) mit Dämmerung begann, einem Lied im Mondschein glich, jedoch übertriebene Zartheit oder Verwässerung vermied. In der Darstellung klar, spannte Till Fellner einen ununterbrochenen Bogen von der Introduzione bis zum Prestissimo. Technisch hervorragend und im Impetus unwiderstehlich begeisterte der Pianist sein Publikum und schenkte noch einmal nach, mit einem arkadischen Ausschnitt aus Liszts »Annees de pelerinage« (Pilgerjahre).

20. März 2023, Wolfram Quellmalz

Till Fellner unterrichtet heute und morgen eine Meisterklasse am Conservatoire de Paris. In seiner jüngsten Einspielung widmet er sich ganz Johann Sebastian Bach: Inventionen & Sinfonias BWV 772-801 sowie die Französische Suite BWV 816 (SHM-CD), erschienen bei EMC

http://www.theatrechampselysees.fr

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