Marcel Andreas Ober präsentiert Vielfalt der Orgellandschaft in der Dresdner Hofkirche
Im allgemeinen wird die Jehmlich-Orgel der Dresdner Kreuzkirche als die Vielseitigste der Dresdner Hauptkirchen angesehen, weil sich das Instrument vom Barock (oder gar Renaissance) bis zur zeitgenössischen Musik allen Zeiten zuwenden kann bzw. an sie anpassen läßt. Im Gegensatz dazu ist das Silbermann-Instrument der Katholischen Hofkirche (Kathedrale) mit seinen bald 270 Jahren zumindest in bezug auf jüngere Kompositionen eingeschränkt. Im allgemeinen mag dies zutreffen, geht man jedoch von einem kreativen Pragmatismus der Organisten aus, können moderne Klänge auch auf historischem Instrumentarium erzeugt werden – das Gelingen freilich ist nicht garantiert. Daß es gelingen kann, davon konnten sich die NMB schon mehrfach überzeugen. Und so war das Konzert von Domorganist Marcel Andreas Ober (Berlin) am Mittwoch keine Ausnahme – bis zu Mendelssohn, Langlais und Pärt reichte sein Konzertangebot.
Sieht man übrigens genauer hin, hat Jean Langlais, immerhin ein Organist und Komponist des 20. Jahrhunderts, wohl die meiste Zeit seines Lebens an der Hauptorgel der Basilika Sainte- Clothilde in Paris verbracht – einem Instrument, das Aristide Cavaillé-Coll 1859 fertiggestallt hat, also lange bevor Jean Langlais geboren wurde. Die Orgel (wenn auch später leicht überarbeitet) hat den Komponisten sicherlich beeinflußt, ohne aus ihm einen »anachronistischen« Tonschöpfer zu machen.
Der Beginn lag auf jeden Fall »zeitlich richtig« – das Orgelkonzert begann, wie jenes der Vorwoche abschloß, mit einem Praeludium von Nicolaus Bruhns (e-Moll). Die große, geradezu mächtige Eröffnung war diesmal ein Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte. Am dichtesten traf François Couperin einen vergleichbaren Ton, denn das Agnus dei aus seiner Messe à l’usage des paroisses fordert im ersten Teil das Plein jeu, bevor – kaum weniger mächtig – der Dialogue sur les Grand jeux noch eins draufsetzt. Marcel Andreas Ober erwies sich als gewiefter Bändiger, der das Tutti-Orchester der Silbermann-Orgel zügelte und vor dem Klangrausch bewahrte, es aber in allen Farben funkeln ließ. Couperin, der auch ein hervorragender Cembalist war, hat noch dem großen Spiel das filigrane Silberwerk dieses Instruments einverleibt!
Gleich mehrfach bezog Marcel Andreas Ober Stücke (und die Passionszeit) ein, die auf Choralmelodien aufbauten, von Georg Böhm (Vorspiel »Vater unser im Himmelreich«) und Johann Sebastian Bach (»Oh Mensch bewein dein Sünde groß« BWV 622) bis zu romantischen Kompositionen (Schumanns Nr. 5 aus den Fugen über BACH, Mendelssohns Sonate Nr. 6, welcher der Choral »Vater unser im Himmelreich« zugrunde liegt). Diese Werke (ebenso Brahms‘ Choralvorspiel »Herzlich tut mich verlangen«) folgten im Gestus dem Lied bzw. einer Kantabilität und vordergründig tragender Melodie.
Der Organist führte das Silbermann-Instrument von seiner (klang)schönsten Seite vor, geradezu einen Inbegriff der Schönheit brachte Marcel Andreas Ober somit zu Gehör. Da fehlte eigentlich nicht viel, aber eines doch: der rote Faden. Denn trotz der Choralbezüge war das Programm mit elf (!) Stücken aus vier Jahrhunderten in einer knappen Stunde zu wechselvoll, manche Werke zu kurz, um sinnierend verweilen zu können – es kam schon wieder etwas anderes. Am deutlichsten spürbar vielleicht kurz vor Schluß bei Arvo Pärt: »Pari intervallo« mit seinem meditativen Charakter wirkte im Vergleich zum vorangegangenen Couperin einfach blaß.

Der junge Mozart spielt die Orgel, Gemälde von Heinrich Lossow, Schloßmuseum Linz, Bildquelle: Wikimedia commons
Den Abschluß gestaltete Marcel Andreas Ober dennoch mit einer »musikalischen Vergoldung«: Wolfgang Amadé Mozarts Adagio und Fuge c-Moll. Was nur zur Feststellung führen konnte, wie bedauerlich es doch ist, daß so wenig Orgelliteratur von Mozart notiert wurde! Einmal eine Zeitreise machen und ihn im Salzburger Dom beim Improvisieren zuhören …
30. März 2023, Wolfram Quellmalz
Nächste Konzerte des Dresdner Orgelzyklus: 5. April, Olivier Latry (Eule-Orgel des Kulturpalastes), 12. April, Domorganist Sebastian Freitag (Jehmlich-Orgel der Kreuzkirche), 19. April, Domorganist Josef Still (Kern-Orgel der Frauenkirche), 26. April, Kilian Neuhaus (Silbermann-Orgel der Hofkirche)