Collegium 1704 feiert musikalisch das Osterfest vor
Das war es nun leider schon – gestern verabschiedeten sich Václav Luks und sein Collegium 1704 für diese Spielzeit vom Dresdner Publikum in der Annenkirche. Am Beginn der Karwoche standen zwei Werke auf dem Programm, die schon das Osterfest feierten – im Konzert kein Problem. Johann Sebastian Bachs Oster-Oratorium (BWV 249) und Jan Dismas Zelenkas Missa paschalis (ZWV 7) sind nahezu gleichzeitig entstanden, doch Handschrift, liturgische Verwendung und vor allem der Personalstil der Komponisten führten doch zu zwei vollkommen verschiedenen (singulären) Formen.
Johann Sebastian Bachs BWV 249gilt als das erste Oratorium des Komponisten (wobei die Gattungszuordnung erst später vorgenommen wurde), ist aber kein Jugendwerk, sondern stammt aus seiner Anfangszeit als Thomaskantor. Da war Bach also durchaus schon erfahren und wußte, wie er sein Publikum »packt«. Auffallend ist dennoch die vergleichsweise freie Form. Zwar mag mancher Hörer den Evangelisten, dessen zentrale Rolle Bach wenig später entwickelte und auf einen Höhepunkt führte, vermissen, andererseits eröffnet der Wechsel der Erzähler in den Rezitativen die musikalischen Möglichkeiten der Erfindung und Kombinationen. Für den Chor und die Solisten des Collegium Vocale 1704 fanden sich ausgiebig Gelegenheiten individueller und höchst eindrucksvoller Interpretationen. Sopranistin Pavla Radostová gehört derzeit zu den eindrucksvollsten Sängern des Ensembles. Sie kann mühelos in der Höhe brillieren und trägt zum Charakter des Chores, der sich aus individuellen Sängerinnen und Sängern zusammensetzt, bei. Manchmal ragt sie durchaus weit daraus hervor, was das Gleichgewicht etwas zu den Sopranen hin (oder zu ihrem) verschiebt. Auch später im Benedictus von Zelenkas Missa forcierte Pavla Radostová zwar wundervoll, aber mit etwas Übermaß. In den Solistenensembles dagegen fand sie wunderbar mit ihren Kollegen zusammen. Gerade in Bachs erstem Rezitativ, das von Maria Magdalena, Maria Jacobi, Petrus und Johannes in Duetten bestritten wird, fiel dies sehr angenehm auf. Aneta Petrasovás Alt gehört seit langem zu den goldenen Solostimmen des Collegium Vocale 1704, Baß Tomáš Šelc kann sich darin ganz unmittelbar neben ihr einreihen. Für Aufmerksamkeit sorgte diesmal außerdem der geschmeidige Tenor Matúš Šimkos.
Ganz nebenbei warf solche Form die Frage auf, ob sich Bach nicht in dieser (freieren) Richtung hätte entwickeln können denn in der zwar eindrucksvollen, aber durch »Regelarithmetik« festgelegten, die wir kennen. Uns beeindruckt deren Architektur nicht nur in den großen Werken, aber ist sie nicht zuletzt nicht trotzdem ein (pietistisches) Korsett? Solcherlei (erfrischende, nicht trübende) Fragen kommen einem in den Sinn, wenn das Collegium brilliert. Oder jene nach dem Ursprung vieler Sätze. Schließlich hat Bach nicht selten (eigenes) weiter- oder wiederverwendet. Im Oster-Oratorium schien schon die Sinfonia einem jubelnden Osanna-Chor entsprungen zu sein.
Andere Fragen, auch wenn sie vorab noch naheliegend waren, verloren schnell an Bedeutung. Wie ein Vergleich von Bach und Zelenka – schließlich haben beide Höhepunkte der Kompositionskunst markiert. Ein anderer Vergleich war viel interessanter: der, wie Zelenka den bekannten Messetext vertont hat, einen Text, der zu vielen Feier- und Gedenktagen sowie für Totenfeiern immer wieder aufgegriffen, neu gefaßt, aufgefaßt wurde. Die Missa paschalis enthält nicht nur ein Licht der Auferstehung, Václav Luks schilderte mit ihr ganz unmißverständlich die Lebendigkeit und das lebenspendende Feuer, welches immer wiederkehrte (Gloria, Et resurrexit, Dona nobis pacem). Hier waren Chor und Instrumentalisten noch mehr verschränkt als bei Bach, brachten Wechselwirkungen hervor oder sorgten binnen weniger Zeilen für packende Affektwechsel (Et incarnatus est). Die Instrumentalisten trugen das ihre zu diesem Funkeln (Trompeten) bei, wobei Václav Luks in beiden Stücken sehr genau auf die Gruppierung der Sängersolisten achtete (vor dem Orchester / vor dem Chor) und auch die Instrumente entsprechend zusammenstellte. Die Oboen (mit fabelhaften Soli von Katharina Andres) wechselten so einmal die Seiten, Flötistin Julie Braná gar das Instrument (Travers- / Blockflöte).
Schöner kann man Ostern kaum feiern! Und nun? Die NMB werden sehen, wie sich die lange Zeit bis zum Herbst überbrücken läßt und ob es nicht vielleicht doch zwischendurch irgendwo »ein Stück« Collegium gibt. Das neue Programmheft hatten die Prager bereits dabei – wir stellen es rechtzeitig ausführlich vor.
4. April 2023, Wolfram Quellmalz

Wer es generell tschechisch mag, dem sei noch einmal die Ausstellung »Imaginarium« im Japanischen Palais (Dresden) empfohlen. Dort haben Matĕj, von dem auch die Programmheft- und Plakatillustrationen des Collegium 1704 stammen, und sein Bruder Petr Forman allerlei spielerische, phantastische und staunenswerte Objekte zusammengetragen. Es gibt viel zu sehen, anzufassen und zum Spielen – nicht nur für Kinder! Die erfolgreiche Ausstellung wurde eben bis 3. September verlängert. Mehr dazu sowie zu den Künstlern finden Sie hier:
https://japanisches-palais.skd.museum/ausstellungen/imaginarium/
https://milosforman.com/de/about/theatre