Schweden-Doppel

Herbert Blomstedt dirigiert Schubert und Berwald im Gewandhaus zu Leipzig

Da kann man als Dresdner Rezensent schon ein wenig neidisch sein. Klar, zur Staatskapelle kommt Herbert Blomstedt auch in jedem Jahr, nach Leipzig aber öfter. Und vor allem: hier entstehen seit Jahren großartige CD-Produktionen. Beethoven, Bruckner, Brahms und jetzt Schubert – aus Dresden kann man (mit Glück) nur eine Radioübertragung mitschneiden. Da gibt es nur die alte (wenngleich schöne) Beethoven-Gesamteinspielung, die zwischen 1975 und 1980 (!) mit der Sächsischen Staatskapelle entstanden ist.

Aber Leipzig liegt zum Glück ja nah, nur eine Stunde entfernt, und da lohnt es, sich in den Zug zu setzen. Zumal bei diesem Programm – Schubert und Berwald. Die Reihenfolge mag überraschen – müßte man die Kostprobe oder das Entdeckungsangebot nicht zuerst servieren und dann erst einen der größten Wiener und Sinfoniker aufs Programm setzen? Doch das Konzert zeigte: Franz Berwalds Sinfonie Nr. 2, genannt »Capricieuse«, ist größer angelegt, überragt Franz Schuberts sechste in der Instrumentierung und Weite. Die Reihenfolge ist also wohldurchdacht und kein »patriotischer Akt« des (gar nicht so eindeutigen) Schweden Herbert Blomstedt. (Herbert Blomstedt wuchs eher skandinavisch auf, lebte in Finnland und Schweden, später in Amerika und der DDR, heute liegt sein Wohnsitz in der Schweiz – ungeachtet dessen reist der bald 96jährige Dirigent, blieb auch während der Pandemie aktivst.)

Schon der Empfang am Donnerstag war herzlich und warm. Die Leipziger lieben den Maestro, da spürt man zwar eine Ehrerbietung, aber keine erstarrte, sondern eine vitale. Daß am Ende stehend applaudiert wird, entspringt nicht einem Altersbonus, sondern spiegelt den von Herzen kommenden Dank wider.

Mittlerweile sitzt Herbert Blomstedt am Pult – soll er! (Andere Kollegen stürzten herunter oder man sorgte sich deshalb, wenn man ihnen zusah.) Seine Beweglichkeit ist indes kaum eingeschränkt und vor allem – konkret. Jeder Fingerzeig ist exakt, Augenkontakt ist ohnehin ein wichtiges Leitmittel guter Dirigenten.

Und so durfte Franz Schuberts »kleine« Sinfonie C-Dur frisch, frech und vergnügt erblühen und Rätsel aufgeben, was sich der Komponist damit wohl gedacht habe. Herrlich schimmerte die Eröffnung mit den Hörnern, Herbert Blomstedt pflegte Konturen, hob Motive in der leiseren Wiederholung der Holzbläser quasi hervor, später, im Scherzo, kehrte er den Effekt um, ließ die Wiederholung von den Streichern deutlich ausmalen. Im Andante wuchs das Tutti geradezu wuchtig, aber es stand dabei für Lebhaftigkeit und glänzende Schönheit, nicht für Macht! Die vielen Tonartwechsel, eingeschobene Trios – nobel klang dies alles und leicht. So fragte man sich: Hat denn Schubert mit dem Allegro moderato nicht eigentlich eine zarte Ballettszene beschrieben?

Nach der Pause geht es so ähnlich und ganz doch anders weiter. Denn auch Franz Berwald überrascht mit knappen Einleitungen, kurzen Übergängen und (scheinbaren) Ballszenen. Wo könnte man ein Scherzo wohl auch besser verstecken als auf einem (Masken)ball? Denn offiziell benennt der Komponist es nicht, läßt es gar aus – mit nur drei Sätzen präsentiert sich die Sinfonie dem Zuhörer. Der ist mehr erfreut als verwundert – das Gefühl, es fehle etwas, kommt gar nicht erst auf. Vielmehr staunt man, dieses Werk wirklich zum ersten Mal gehört zu haben, zumindest im Gewandhaus. Allerdings war Herbert Blomstedt auch der letzte, der Schuberts sechs hier aufführte, vor 22 Jahren!

Wie nah sich beide Werke bei aller Unterschiedlichkeit kommen (wie klug und sinnig die Auswahl) zeigt sich unter anderem im Andante, das leicht und fließend schwebt (ohne deshalb einem Schubert’schen Andantino gleich zu sein). Vielleicht liegt Franz Berwalds Scherzo auch im Allegro assai, wo sich ein Lied über grummelnden Bässen erhebt? Wie dem auch sei – so Köstliches hört man gern. Herbert Blomstedt und das Gewandhausorchester machen deutlich, daß »Capricieuse« nicht »launig« heißt, sondern einer ideenreichen, feinsinnigen Caprice gleichkommt – da wäre es schade, diesen Zyklus nicht auch auf CD zu bannen!

28. April 2023, Wolfram Quellmalz

Blomstedt mal vier: In den letzten Jahren entstanden bereits drei vollständige Sinfoniezyklen in Leipzig (Beethoven und Bruckner: Accentus, Brahms: Pentatone), von Franz Schubert sind bereits die Nummern 7 und 8 erschienen (Deutsche Grammophon)

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