Sächsische Staatsoper bringt Monteverdis L’Orfeo auf die Bühne
Die Zeit der Sächsischen Hofkapelle und heutigen Sächsischen Staatskapelle Dresden reicht (ununterbrochen) bis in die Renaissance zurück. Im Barock finden sich zahlreiche deutsche und italienische Meister, die hier wirkten und für Höhepunkte sorgten, ob als Capellmeister oder Hofcompositeure. Doch die Zeiten ändern sich – die heutige Kapelle, zuletzt entscheidend romantisch geprägt, blieb auch da (in der Romantik) nicht stehen, ist ein modernes Orchester. Das Haus, das Hofoperntheater von damals existiert längst nicht mehr. Gottfried Sempers zweites und 1985 wiedererstandenes Opernhaus ist eines nicht – barock. Insofern hatten es manche Bühnenwerke dieser Zeit, die doch in den Kanon des Hauses zu gehören scheinen, auf der Bühne der Semperoper schwer. Vielleicht ist es diesmal besser gelungen? Für Claudio Monteverdis »L’Orfeo« verpflichtete man die Alte-Musik-Experten der lautten compagney BERLIN um Wolfgang Katschner, der – wenn auch nicht gebürtig – der Dresdner Musikszene nahesteht. Und als Orfeo gewann man keinen geringeren als Rolando Villazón, der eben mit seiner Produktion »La sonnambula« einen Erfolg am Haus errungen hatte. Soweit zu den Ausgangsbedingungen, nur – genügt das?

Bewährungsprobe: Orfeo (Rolando Villazón) in der Unterwelt, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah
Wohl kaum, denn immerhin will die Geschichte des orphischen Sängers erst einmal erzählt werden. Und die – unzählige Male vertont (die Fassung von Heinrich Schütz ist leider verloren!) – weicht in manchem von dem ab, was wir kennen. Ein Ende mit dem glücklich vereinten Paar wie bei Gluck gibt es nämlich nicht. Bei Monteverdi bzw. in der italienischen Renaissance wachten noch richtende Götter über strenge Regeln – wer diese verletzte, mußte die Konsequenzen tragen. Was eine Wendung des Schicksals jedoch nicht ganz ausschließt. Wie damals üblich, werden allegorische und mythologische Geschichten von ebensolchen Figuren (Tugenden, Allegorien etc.) präsentiert. Im Falle Monteverdi ist es La Musica, die erzählt:
DAS STÜCK
Die Hochzeit von Orfeo und Euridice steht unmittelbar bevor. Hirten und Nymphen feiern dies, doch da wird Euridice von einer Giftschlange gebissen und stirbt. Der totunglückliche Orfeo beweint ihr und sein Schicksal, verzweifelt aber nicht, sondern faßt den Plan, Euridice aus der Unterwelt (dem Totenreich) zu befreien.
Von La Speranza (der Hoffnung) begleitet, macht sich Orfeo auf den Weg, muß aber schließlich allein weitergehen und Caronte (Charon, der Fährmann, der die Toten in die Unterwelt geleitet) überwinden.
Am Ziel angekommen, rührt Orfeo zwar Pluto, den Gott der Totenwelt, doch wesentlich, ihn mitleidig zu stimmen und in die »Rückgabe« Euridices einzuwilligen, ist die Fürsprache Proserpinas (Plutos Gemahlin) – Pluto willigt ein, stellt aber eine Bedingung: Orfeo darf sich während des Aufstiegs bzw. der Rückkehr zur Erde nicht nach Euridice umwenden. Doch als Orfeo meint, hinter sich Furien zu hören, die ihm Euridice wieder entreißen wollen, tut er genau dies – und verliert die Geliebte zum zweiten Mal.
Nun gibt es keinen Trost und keine Aufhebung des Urteils, so sehr Orfeo auch Verzweiflung und Zorn plagen. Dennoch widerfährt ihm bei Monteverdi etwas Besonderes: eine Art Auferstehung. Als Sohn Apollos darf er diesem in den Himmel folgen.
DIE INSZENIERUNG
Wenn es – wie oben geschrieben – gelingen könnte, im klassizistisch-historisch-retrospektiven Semperbau diese Barockoper weiter zu etablieren, so liegt das an der gekonnten, fast schon genialen Umsetzung des Inszenierungsteams. Regisseur Nikolaus Habjan hat hier ganz sicher nicht allein gewirkt, sondern zu einer symbiotischen Arbeitsweise gefunden, so daß sich seine Interpretation mit der Choreographie (Esther Balfe), dem Bühnenbild (Jakob Brossmann) und den Kostümen (Cedric Mpaka, Mitarbeit Kostüm: Lugh Amber Wittig) nicht nur ergänzt oder fügt, sondern zu einer sinnlichen Einheit verschmilzt. Gerade diese emotionale Sinnlichkeit ist es, die trägt und erregt. Denn man kann sich dabei – der Stoff ist schließlich bekannt – mühelos vielen Details und Fragen zuwenden, ohne den Kontakt zum Geschehen zu verlieren.
Ausgesprochen dunkel ist die Bühne, soweit sie nicht (zu Beginn und am Ende) von einem golden-orangenen Sonnen- oder Himmelslicht erhellt wird. Großartig sind die düsteren Szenen der Unterwelt mit all ihren geheimnisvollen und beängstigenden Gestalten – herrlich, wie sich hier Grau- und Schwarztöne abheben und vermischen, dazwischen brennen die Augen – gruselig!

Eine Botin überbringt die schreckliche Nachricht: Orfeo (Rolando Villazón), Anderson Pinheiro da Silva (Puppenspieler), vorn links: Eine Botin (Štěpánka Pučálková), Ensemble, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah
Die schauerliche »Fahrt« Orfeos wird damit nicht allein angemessen überhöht. Auch der Wandel der Szenen bildet sich genial im Wandel des Bühnenbildes ab, das sich dreht, »schraubt«– mit dem Heben des »Deckels« wird quasi der Weg in die Unterwelt frei (und umgekehrt).
Nicht zuletzt bedienen Nikolaus Habjan und sein Team klassische Theatervorbilder. Sowohl Orfeo als auch Euridice gibt es als lebensgroße Puppen. Gespenstisch weiß heben sie sich von der Umgebung ab und werden von je zwei Spielern geführt (Johann Ebert, Angelo Konzett, Manuela Linshalm, Anderson Pinheiro da Silva), auch die beiden Sänger beteiligen sich an der Führung. So ergibt sich noch eine Symbiose: Puppe und Sänger sind deutlich getrennt und werden doch eines. Die Bewegungen der Puppen bis zur Kopfhaltung evozieren im Betrachter den Eindruck eines lebenden Menschen, die (fehlende) Mimik ergibt sich ganz (in der Phantasie) automatisch – großartig!
DIE AUFFÜHRUJNG
Die Lebendigkeit der Aufführung entsprießt zunächst Claudio Monteverdis herrlicher Musik, die andächtig und sinnlich ist – weltliches Theater und sakrale Kunst, damals affektiv ohnehin nah beieinander, gehen Hand in Hand – auch das ergibt einen Sinn, spätestens, wenn man das quasi religiöse Ende bedenkt.
Wolfgang Katschners lautten compagney findet sich als vielstimmiges Ensemble in die Szenen und Situationen. Wie hier Madrigale, Consorts, Intradas und anderes dargestellt werden (oft steigen die Musiker nach oben auf die Bühne), ist instrumentale Kunst auf höchstem Niveau und artgerecht, also historisch informiert und korrekt. Dennoch geht manchen Szenen die Lebhaftigkeit aus, gerade im Ensemble und mit dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden. Hier spürt man noch, daß es eben keine Barockexperten sind und ihnen die Frische und Spritzigkeit ein wenig fehlt.
Das gilt gleichermaßen für Rolando Villazón. Zunächst jedoch muß man hier umdenken, denn anders als bei Gluck, der Orfeo mit einer hohen Stimme besetzte (Kastrat / Alt / Haute-Contre), schreibt Monteverdi eine »mittlere Stimmlage mit tenoralen Höhen« vor, also eigentlich sogar noch »unter« einem Tenor. Rolando Villazón erfüllt dieses Kriterium ohne weiteres, scheint leidenschaftlich und dunkel wie noch nie, allerdings stimmlich zu »rund« und mit einer Tendenz zur Fülle. Damit fehlt ihm nicht nur die Vitalität und Frische, er überzeugt letztlich nichts vollends, weil ihm gerade die orphische Betörungskraft ausgeht. Villazón sieht sich gern als »Allrounder« (sang kürzlich sogar den Loge), ein Experte für Barock ist er bei weitem nicht. Hier wäre es wünschenswert, er hätte sich noch mehr darauf eingelassen oder zumindest die Frische eines Alfredo oder Nemorino adaptiert.
Dafür überzeugen die anderen Rollen um so mehr, wie von Alice Rossi (als La Musica und Echo), Bogdan Talos (Caronte), Ute Selbig (Proserpina), Anastasiya Taratorkina (Euridice), Eric Jurenas (La Speranza / Die Hoffnung) und Rosalia Cid (Eine Nymphe). Eindrucksvolle Auftritte erfahren Plutone durch Tilmann Rönnebeck und am Ende Apollo (Simeon Esper). Beide verstanden es, die knappe Szene eindrucksvoll auszufüllen! Mit Brillanz wartete Štěpánka Pučálková (Eine Botin) auf, die – Euridice hat keine weittragenden Auftrittsmöglichkeiten) gemeinsam mit La Musica dafür sorgt, daß das Stück in einen Rahmen gefaßt ist. Wie sich hier Ensemblemitglieder und Gäste bereits zur Premiere fügten, war absolut überzeugend. Den sonst gewohnten Effekt, daß sich die Aufführungen erst im Verlauf steigern und zur dritten … vierten alle eingespielt sind, gab es (mit Ausnahme des Titelhelden) praktisch nicht.
Fazit: Monteverdi lohnt musikalisch immer – hier kann man ihn auch szenisch ansprechend erleben – nicht verpassen!
1. Mai 2023, Wolfram Quellmalz
Claudio Monteverdi »L’Orfeo«, Semperoper Dresden, mit lautten compagney BERLIN (Leitung: Wolfgang Katschner), Rolando Villazón, Alice Rossi Anastasiya Taratorkina und anderen. Die nächsten Aufführungen finden am 3., 12., 18., 26. und 31. Mai statt sowie am 3. und 6. Juni.