»Adventsstern 2018« der Singakademie Dresden

Wiederentdeckung und Uraufführung in der Annenkirche

Das Adventsstern-Konzert der Singakademie Dresden gehört seit langem in die Vorweihnachtszeit. Immer sind dabei Wieder- und Uraufführungen zu erleben, vor allem von Dresdner Komponisten oder solchen aus dem Umland. Um billiges »Lokalkolorit« handelt es sich dabei jedoch nicht. Vielmehr sind die ausgegrabenen Werke Resultat einer dezidiert musikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur und Aufführungsgeschichte, und auch der Kontakt zu den Komponisten entspringt einer vertieften Zusammenarbeit mit dem Chor und seinem Leiter Ekkehard Klemm.

Der aus Zehren (ein Ortsteil von Meißen) stammende Christoph Ludwig Fehre wurde vor 300 Jahren geboren. Für die Singakademie war seine Kantate »Weint, ihr Sünder, weint vor Freuden« zum 1. Advent nach der »Johannespassion« im März dieses Jahres und einem Passionsoratorium nach Christian Friedrich Henrici (»Picander«) 2017 bereits das dritte Werk des Komponisten, welches sich der Chor vorgenommen hatte. Fehre war Organist der Annenkirche und erlebte deren Zerstörung im Siebenjährigen Krieg ebenso mit wie den Aufbau des neuen, heute stehenden Hauses, also des Aufführungsortes am Donnerstagabend. Seine Kantate hat mit Naturtrompeten und Pauken viel von der Leuchtkraft und Pracht des Bach’schen Weihnachtsoratoriums, eine freudvolle Stimmung, welche die Singakademie farbenfroh ausmalte. Gleich der Eingangschor war von einem hellen Willkommensjubel (des »betet euern Heiland an«) getragen, einem Jubel, der sich spannend über das ganze knappe Werk zog. In verhältnismäßig knapper Form hat Fehre die Ankunft (Advent) des Herrn gefaßt, läßt unter anderem in einem Rezitativ Sopran (Annina Battaglia), Alt (Luise Sitzlack), Tenor (Konrad Furian) und Baß (Jakob Kunath) in verschiedenen Rollen auftreten und den Neuanfang bzw. das kommende Gute bekräftigen. Eindrucksvoll waren Annina Battaglia und Jakob Kunath in ihren Arien, auch wenn die Sopranistin anfangs noch nicht gut verständlich blieb.

Ihr großer Auftritt kam jedoch mit der Uraufführung Alberto Arroyas »Le temps en ruines« (Die Zeit der Ruinen). Arroya, der Student an der hiesigen Musikhochschule ist, hat bereits eine eindrucksvolle Zahl von Kompositionen vorgelegt, Preise und Stipendien erhalten. In seinem neuen Werk setzt er einen Text von Albert Camus um, welcher das Nebeneinander von Vanitas und Neuanfang, von Sterben und Geburt beinahe bildhaft beschreibt. Camus bezieht sich auf die Vergänglichkeit der Ruinen und des Steines, aus deren Vergehen wiederum Neues entspringt. Die bildhafte Sprache der »Ehe« von Ruinen und Frühling, vom »Konzert schläfriger Insekten« oder mit »Kiefern und Zypressen bepflanzten Hügeln« hat Alberto Arroya mit Klängen erfaßt, die oft ins Geräuschhafte reichen. Anhaltende Liegetöne der Orgel (Helene Lerch), Luftströmung in den Trompeten oder das Atmen des Chores gehören ebenso dazu wie angeschlagene Saiten der Streicher oder eine Windmaschine. Eindrucksvoll entstand so eine Klanglandschaft, wobei in Wellen auftretende Wiederholungen und Veränderungen Beständigkeit und Wandel gleichermaßen aufzeigten. Dem Chor und der Sopranistin oblag es einerseits, den Text vorzutragen, andererseits hatten beide eine fast instrumentale Funktion und wurden eins mit dem Dresdner Barockorchester (welches das moderne Stück auf alten Instrumenten spielte).

Ganz anders als bei Fehre und später bei Bach stand also die Textvermittlung nicht an erster Stelle. Vielmehr schafft der Komponist eine eindrucksvolle, atmosphärische Verdichtung und kontemplative Wirkung. Nicht der vollständige und chronologische Vortrag (Gesang) war wesentlich, sondern die Betonung von Passagen und Schlüsselworten (»ruines«, »printemps« etc.), die auch gesprochen oder geflüstert wurden. Wichtig ist Arroya dabei die Wirkung des Klangs, weshalb die Sopranistin von hinten, oben … von verschiedenen Positionen auf den Emporen oder von der Ferne sang – eindrucksvoll!

Kontrastreich hatten Chor und Orchester die beiden Werke in Szene gesetzt und fügten dem noch die Messe g-Moll (BWV 235) von Johann Sebastian Bach an. Das der Tonart nach ungewöhnliche Werk war ein gleichermaßen harmonischer wie bedächtiger Abschluß, in dem Oboistin Luise Haugk mit ihren (fast Gesangs-)Soli besondere Akzente setzte. Ebenso gefiel die zentrale Arie »Herr und Gott, König des Himmels«) von Jakob Kunath, geschmeidig und lebendig vorgetragen. Mit »Der du nimmst hinweg« (Luise Sitzlack) und dem Schlußchor fand das Konzert – adventssterngemäß – einen leuchtenden Abschluß.

21. Dezember 2018, Wolfram Quellmalz

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