Dresdner Philharmonie erkundet Gegensätzliches
Immer wieder kombiniert Michael Sanderling Sinfonien Dmitri Schostakowitschs mit Werken, die nicht nur der Jahreszahl nach aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Neben Ludwig van Beethoven (die beiden Gesamtzyklen der Sinfonien Beethovens und Schostakowitschs sind ohnehin verschränkt) sind es Komponisten wie Wolfgang Amadé Mozart oder (wie zuletzt) Carl Maria von Weber, in welchen Sanderling Kontraste offenlegt. Es zeigt sich aber jeweils auch, daß solche Kombinationen bzw. Kontraste gehaltvoll sind und gerade in der direkten Gegenüberstellung das Spektrum zu bereichern vermögen.
Einen Tag nach dem Gedenkkonzert gab es gestern noch einmal Schostakowitschs Sinfonie Nr. 15, der nun aber Johannes Brahms‘ zweites Klavierkonzert vorangestellt war. Als Solist hatte man Nicholas Angelich verpflichtet, Kennern seit langem als Solist und vor allem Kammermusiker bekannt. So hat er viele Konzerte mit Renaud und Gautier Capuçon gegeben und Trios mit ihnen eingespielt. Wer ihn noch nicht erlebt hatte, war schlicht verblüfft von der Delikatesse seines Anschlages, seiner agogischen Feinheit, seiner Ausdruckskraft, seiner unaufdringlichen, aber mittelbaren Brillanz.
In der Eleganz, in den (musikalischen) Ausholbewegungen, der Weite, trafen sich Michael Sanderling und Nicholas Angelich. Brahms‘ Klavierkonzert B-Dur, in der Anlage eigentlich eher sinfonisch, offenbarte nebenher kammermusikalische Elemente, ließ den Solisten in den Kadenzen rhapsodisch erzählen – wie wunderbar, dies aufblühen zu hören! Nicholas Angelich und die Dresdner Philharmonie sorgten für einen beinahe bildlichen Eindruck – man hätte meinen mögen, Brahms höchst selbst über Berge stapfen, nein – hüpfen zu sehen. Frohgemutheit traf grüblerisches Sinnen, immer von Lebensglut durchdrungen. Die erzählerische Dichte war dabei im Orchesterpart ebenso zu finden wie in den Tönen des Klaviers.
Das Allegro appassionato durfte etwas poltern, weil das ebenso ganz brahmsisch war, wie das Klavier zuvor, welches den Hornruf sanft schimmernd erwiderte, als habe der Komponist eine der Feen Mendelssohns eingefangen.
Flöten zirpten, das Violoncello (Matthias Bräutigam) sang sinnlich umrahmend – was wollte man da eigentlich mehr? Eine Zugabe, ja, nur welche? Nicholas Angelich entschied sich für eine mit erzählerischem, wiegenden Gestus, das Andante moderato aus den Intermezzi Opus 117 – einfach köstlich!
Wie anders gebärdete sich die Musik nach der Pause. Schostakowitschs letzte Sinfonie, A-Dur, die vor fünf Jahren schon einmal erklungen war. Nun wurde sie für die Gesamtaufnahme noch einmal mitgeschnitten.
Munter kommt sie daher, humorvoll … ? Wie so oft enthält das Werk Zitate, Versatzstücke, die auch Ironie und Persiflage sind, nicht nur Anknüpfungspunkte schaffen. Michael Sanderling versteht es wie kaum ein zweiter, solche Doppelbödigkeit und Zwielichtigkeit bloßzulegen, erfahrbar zu machen. Das kann – bis hin zu den Trommeln – beklemmend wirken, denn der martialische Klang (Trompeten) ist irgendwann verschwunden, dann klingt es nach klopfen, pochen …
Der (großartige!) Blechbläserchoral kann dann ebensowenig beruhigen wie das sangliche Cello (jetzt Ulf Prelle), das Konzertmeistersolo (Wolfgang Hentrich) gereicht da schon fast an Geschwätzigkeit – Schostakowitsch hat nicht nur Töne und Musik eingefangen, sondern Duktus und Melos der Agitation offengelegt – an diesem Abend war das deutlich zu erkennen.
Mit von ferne klingenden Trompeten und dem dumpfen oder gedämpften Ton der Schlagzeuge (Schostakowitsch braucht für seine Sinfonie sechs Schlagwerke!) beeindruckt das Werk nicht nur mit Motivik und Dramatik, sondern nicht zuletzt mit der ausgefeilten Instrumentierung, den Episoden, die Michael Sanderling in der Akustik des Konzertsaales aufblättert.
15. Februar 2019, Wolfram Quellmalz