Klavierabend mit Yefim Bronfman im Gewandhaus zu Leipzig
Am Sonntagabend wurde der Zyklus großer Klavierabende in Leipzig fortgesetzt. Gleichzeitig war es ein Nachholen, denn das letzte Konzert mit Yefim Bronfman vor einigen Jahren war krankheitsbedingt ausgefallen.
Ausgefallen, aber auf ganz andere Weise, sind eigentlich immer die Programme des usbekisch-israelisch-amerikanischen Pianisten. Gerne kombiniert er Werke unterschiedlichen Charakters, spannt damit einen Bogen über Musikepochen. Haydn, Brahms und Prokofjew passen bei ihm ebenso zusammen wie Schumann, Ustwolskaja, Schubert und Bartók, die am Sonntag auf dem Konzertplan standen.
Dabei hatte er kurzfristig noch Robert Schumanns »Humoreske« vorgespannt. Ein kleines Entrée dachten wohl viele, denn der Titel verrät nicht, daß es sich um einen kleinen, aber ausgewachsenen (gebundenen) Zyklus von sieben Teilen handelt. Nicht nur übliche Charakterstücke, sondern ganz explizite Charakterzeichnungen. »Einfach«, »Hastig«, »Einfach und zart«, »Innig«, »Sehr lebhaft«, »Mit einigem Pomp« sowie »Zum Beschluß« lautet die Folge, und sie gab gleich den Blick frei auf das, was im weiteren Verlauf zu erwarten war: fein nuancierte Zeichnungen. Keine Skizzen, sondern detailreich gefertigte Bilder. Yefim Bronfman begann, kaum daß er auf dem Schemel saß, sponn die Zuhörer sanft ein und sorgte damit augenblicklich für Ruhe – kein Räuspern oder Husten war mehr zu hören. Von 100 auf Null sozusagen, vermittelte Bronfman die Spontanität des Stückes (sowie der Programmänderung), formte aus den Charakteren schließlich doch Figuren, als würden diese sich die Masken gegenseitig vom Gesicht reißen.
Solchen Feinsinn führte er später noch bei Schumanns »Faschingsschwank aus Wien« weiter. Der erste Teil (Allegro. Sehr lebhaft) ist im Verhältnis zu den folgenden nicht nur länger, sondern beinahe ausufernd expressiv und führte einen spontanen Zwischenapplaus herbei, den Bronfman ebenso souverän wie knapp beendete. Berückend war die Differenziertheit, mit welcher der Pianist zwischen den Figuren wandelte, sie formte und ausmalte. Bronfman gelingt es, die funktionalen Aspekte von rechter und linker Hand auszublenden – so feine Anschlagskultur, ein derartiges Gestaltungsvermögen, erlebt man höchst selten! Manchem war »Mit größter Energie« wohl nicht energiereich genug, jedoch: zur Schumannzeit waren die Klaviere noch andere. Man muß durchaus nicht einem Dogma historischer Aufführungspraxis folgen, aber den Gedanken zu erwägen (was Schumann mit dem ihm bekannten Mittel ausdrücken wollte) lohnt allemal. (Viele technisch perfekte Virtuosen entpuppen sich oft als »Tastentrümmerer« – oder?)
Eingeschlossen in Schumann war Béla Bartóks Suite für Klavier Opus 14 (Sz 62). Im Vergleich mit dem üppigen romantischen Bilderreigen erschien diese knapp, ja flüchtig. Und doch ließ Yefim Bronfman darin, auf engstem Raum, Tanz und Tumult entstehen, schärfte das Ohr für dissonante Anklänge und deren Berechtigung. Im Scherzo gestaltete er muntere Wippfiguren und legte einen köstlichen Humor offen, auf den Rausch des Allegro molto folgte das Sostenuto mit der Bedächtigkeit den Tag beschließender Turmuhrglocken.
Galina Ustwolskajas vierte Sonate für Klavier war durch den Schumann’schen Einschub nach die Pause gerückt. Ähnlich knapp wie Bartók enthält auch sie kleine Welten, charaktervolle Miniaturen. Wie gehaucht beginnt das Werk, immer wieder schaffen Einzeltöne Beruhigung, legen ein Zentrum fest. Minimalistisch sind Akkorde oder Tonskalen, oft nur kleine Stufungen aneinandergekettet, worin sich viele freie Bezüge finden. Strukturell und schematisch sind gewichtige Festlegungen wie Melodie- und Begleitstimme aufgelöst, meist gibt es kleine Sequenzen, die sich mischen, dabei nicht selten auf kleine Ausschnitte des Tonumfangs konzentriert bleiben. Solche Knappheit schafft zwar Konzentration, dennoch hätte man sich mehr von Ustwolskajas oder Bartók gewünscht, um diese noch besser zu ergründen.
Den gewichtigen Schlußpunkt setzte Yefim Bronfman – nun beherzt zupackend – mit Franz Schuberts drittletzter Sonate, c-Moll (D 958). An Differenziertheit ließ er dabei durchaus nicht nach. Auf das mächtige Allegro folgte ein zartes Adagio, den poetischen Ton der Schumann-Interpretationen umging der Pianist jedoch. Der fließende Energiestrom des Menuetto. Allegro – Trio steigerte sich bis in eine Unbedingtheit, die gefangennahm. Von hier leitete Yefim Bronfman direkt ins abschließende Allegro über, zwingend und voller Sprungkraft, aber ohne Donner.
Und nun? Zuvor schon war geraten worden, welche und wieviel Zugaben es geben würde. Yefim Bronfman beließ es bei drei: Domenico Scarlattis zauberhafte Cembalosonate C-Dur (K 11), die zunächst im krassen Kontrast zu Schubert stand (auf volltönende Klassik auf dem Flügel folgte zarte Cembalomusik) sowie Frédéric Chopins Étuden E-Dur (Opus 10 Nr. 3) und c-Moll (Nr. 12 aus dem gleichen Opus).
4. März 2019, Wolfram Quellmalz
Im Mai erwartet Musikfreunde ein weiterer besonderer Klavierabend im Gewandhaus. Dann ist der polnische Pianist Kristian Zimerman zu Gast und wird Johannes Brahms‘ dritte Klaviersonate sowie die vier Scherzi Frédéric Chopins spielen. Was er wohl für Zugaben im Gepäck haben wird?
Kristian Zimerman, Gewandhaus zu Leipzig, 13. Mai 2019, 20:00 Uhr