Martin Helmchen kehrte am Wochenende zur Dresdner Philharmonie zurück
Auf den Programmzetteln der Sinfoniekonzerten im Kulturpalast standen am Wochenende zwei Namen, die immer für Höhepunkte gut sind: Johannes Brahms und Martin Helmchen. Mit dem ersten Klavierkonzert Opus 15 in d-Moll und dem sinfonisch besetzten Klavierquartett Opus 25 g-Moll in der orchestrierten Fassung von Arnold Schönberg war der Abend reich gefüllt. Dabei bestätigte sich: Brahms ist brahmsischer als Schönberg.
Selbst wenn die letzte Aufführung des Klavierkonzertes kaum zwei Jahre zurückliegt (auch damals unter der Leitung von Michael Sanderling), offenbarte das gewichtige Werk viel vom Reiz des neu Hörens, ohne daß es umgedeutet werden mußte. Sinfonisch ließ Michael Sanderling die Stimmen zusammenströmen, was ihn aber nicht hinderte, gleich den Beginn mit Blechbläsern und Pauken prägnant zu gestalten. Das Maestoso bekam so eine wuchtige Attitüde – weder Unwucht noch Übermaß, sondern einen herrlichen Impuls, Brahms’sche Schrittweite, ein mitreißendes Stürmen. Die Streicher sprachen vom Aufbruch, auch wenn das Motiv vielleicht noch »abwärts« gerichtet war. Nein, es ging voran – auf, auf, ganz klar!
Martin Helmchen trat hier zunächst als Orchesterspieler hinzu, steuerte die Farbe seines Instruments bei, als sei das Werk eine Sinfonie mit Klavier. Freilich blieb das nicht so, denn mit der Kadenz wurde der Solist bestimmender, löste ein Wogen aus – noch mehr Antrieb für Brahms, und das schien kein Ende zu finden. Im Dialog mit den Hörnern fanden sich immer neue Impulse, Wellenmotive, welche den Vorwärtsdrang und die Lebendigkeit anfachten.
Auf diese Wucht folgte ein Innehalten. Erschöpft vielleicht, dafür aber um so reflektierte. Hier nun stand Martin Helmchen im Mittelpunkt, war Hauptakteur und Gestalter, der aus dem Adagio mit kultiviertem Anschlag ein inniges, nachdenkliches Nocturne formte – nicht nur in der Nachdenklichkeit trafen sich Helmchen und Sanderling. Und so schloß sich das Rondeau bündig an, beherzt erneut, sinfonisch durchdrungen, ein fröhlicher Tumult, der niemals seine Balance verlor. Immer weiter, immer schneller drehte sich das Karussell, nun mit einem fulminanten Hornquartett, bis es in der Klavierkadenz ein wenig Beruhigung, noch mehr Konzentration fand.
Mit dem Intermezzo Nr. zwei aus den Klavierstücken Opus 118 verabschiedete sich Martin Helmchen vom Publikum, und eigentlich wäre auch dieses »Nachtstück« ein passendes »Adé« gewesen, hätte man die »Sinfonie« diesmal vorangestellt. Denn die Sinfonie war ja eigentlich keine, sondern ein bearbeitetes Klavierquartett, und in der direkten Gegenüberstellung bzw. Folge zeigte sich, daß Schönberg derber ist, wo Brahms sinfonisch schwelgt, oder weitschweifig, wo Brahms‘ Quartett sinnlich das Andante con moto anstimmt.
Erstaunlich waren die Akzente, die Michael Sanderling fand. Die köstlich prägnanten Tuben gleich am Beginn, immer wieder bewiesen die Streichergruppen, wie sinfonisch das Quartett eben angelegt ist (womit Schönbergs Intention also bewiesen war). Wirklich charmant wurde es, als die Stimmführer allein spielten und sich mit den Bläsern vereinigten (Intermezzo), dann wiederum hat der Bearbeiter den »zingarese«-Charakter ganz treffend mit Pauken, Trommeln und Becken unterstrichen. Und noch einmal durfte das Werk Schwung aufnehmen, aufschäumen mit den Blechbläsern, spielten sich Konzertmeister (Wolfgang Hentrich) und Klarinette (Fabian Dirr) in die Hände, mit Haltung und Brahms.
8. April 2019, Wolfram Quellmalz