»Für hörende Augen und sehende Ohren«

Chorsinfonisches Konzert an der Musikhochschule

»Aphrodite und die Apokalypse« titelte die Musikhochschule am Sonntag und stellte in einem Konzert chorsinfonische Werke gegenüber. Hinter dem Titel verbarg sich ein ambitionierter Ansatz, denn er wollte nicht weniger, als Kommen und Gehen, Leben und Tod, Schönheit und Häßlichkeit, Freude und Trauer gegenüberstellen und bis in die Tiefen des (syn-)ästhetischen Empfindens führen. Im Zentrum standen dabei Kompositionen des 19. und 20. Jahrhunderts, von Morten Feldman, Claude Debussy, Gabriel Fauré und Luigi Nono. Das »Schicksalslied« von Johannes Brahms sowie sein »Nänie« fungierten dabei als Rahmen, auch sonst waren mehrere Symmetrie- und Bezugsachsen im Programm verankert. Zusätzlich hatte das Programm noch den Bogen zu vier Werken der Bildenden Kunst von Bouguereau, Picasso, Botticelli und Rothko geschlagen.

Mancher mag davon überfordert gewesen sein, vielleicht wäre eine andere Reihung als zwei schwebende Werke mit vom Chor gesungenen Vokalisen (Feldman »Rothko Chapel« und Debussy »Printemps«) in direkter Folge leichter zu fassen gewesen, indes darf man – gerade an diesem Ort – den Zuhörer als verantwortlichen Teilnehmer einbeziehen. Und der konnte – auch wenn er vielleicht kein Synästhetiker ist – staunen, mit welcher Leichtigkeit Claude Debussy den Frühling skizzierte, ohne ihn in direkte Worte oder Lautmalerei zu übersetzen.

Das »sinfonische« oder »symphonische«, also ein gesamtheitliches Zusammenklingen, wurde gleich vielfach an diesem Abend deutlich: durch den riesigen, mehrstimmigen Chor der Hochschule für Musik, durch das Orchester der Elblandphilharmonie sowie durch Solisten, Sänger wie Instrumentalisten. Für »Beobachter« gab es viel zu entdecken, von den schönen Solostimmen angefangen, etwa Marie Bieber (Alt), die Morton Feldmans »Rothko Chapel« einfühlsam auskleidete oder dem baritonal erzählenden Baß Sinhu Kims (Fauré »Le Naissance de Vénus«), bis hin zu Stefan Köcher, der mit Schlagwerken für wunderbare Farben sorgte (Feldman).

Dem Programm lagen sogar noch Bilder bei, welche sich auf die jeweilige Musik bezogen und wurden vor dem Konzert im Saal eingeblendet, währenddessen war dies auf Grund der vollbesetzten Bühne und Chorempore nicht möglich. Und auch nicht nötig, denn viele der Werke evozierten geradezu Bilder im Kopf des Hörers (Betrachters). So ist zwar Luigi Nonos »La victoire de Guernica« eine Reaktion auf Pablo Picassos »Guernica«, aber ebensogut stellen sich beim Hören im Kopf Bilder wie Dix‘ Kriegstriptychon ein.

Die Opulenz dieses Konzertes war schlicht überwältigend und fordernd. Die beiden von stimmungsreichen Vokalisen getragenen Stücke von Feldman und Debussy, welche in weiten Teilen unbestimmt schwebten, sorgten allerdings für eine nicht gewollte Entspannung – vielleicht würde der erzählende, bilderreiche Fauré dazwischen die Spannung besser halten helfen. Interessant auch, daß Mortens explizit für meditative Zwecke komponierte Stück so viel Akuratesse, ein zwingendes Maß erfordert. Dirigent Olaf Katzer, der souverän durch den Abend führte, hatte hier vor allem eines zu tun – den Takt vorzugeben. Aber vielleicht sollte man gerade hier gar nicht hinsehen, sondern die Augen schließen und zuhören?

Nach Luigi Nonos bis an die Schmerzgrenze reichendem Stück (das Werk ist eine politische Stellungnahme und will aufrütteln) führte Katzer direkt zu Johannes Brahms über, womit noch einmal eine hochinteressante Gegenüberstelung gelang. Das Klagelied ist nicht in einen Schrei, sondern in Trauer voller Schönheit gekleidet.

20. Mai 2019, Wolfram Quellmalz

Das Konzert wird am kommenden Freitag, 19:30 Uhr, noch einmal mit den Dirigenten Justus Merkel und Friedrich Sacher wiederholt. Unbedingt empfehlenswert. Und: »Kopf mitnehmen!«

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