Ans Licht

Hagen-Quartett im Palais im Großen Garten

So experimentell klingt das gar nicht, wenn ein seit Jahrzehnten etabliertes Quartett ein Programm mit Schubert, Schostakowitsch und Beethoven ankündigt, dennoch kann man manche Überraschung erleben.

Aber es sind nicht nur die Überraschungen, die man erwartet. Wer eine Karte für eines der in diesem Jahr raren Konzerte im Palais im Großen Garten ergattert hatte und das Hagen-Quartett hören wollte, freute sich vielleicht auf nichts mehr als das: hohe Quartettkunst, den besonderen Klang einer besonderen, gewachsenen Formation. Und die gab zunächst mit Franz Schuberts Quartettsatz c-Moll (D 703) eine Kostprobe ab: das Fragment gebliebene Allegro assai erklang um kein Jota romantisiert, dafür kantig, beinahe hart, mit geschärften Konturen. Die singende Romanze der ersten Violine (Lukas Hagen) wird immer wieder schroff beantwortet – nicht ein Liedgedanke prägte den Satz, sondern die Suche nach einem Ausweg, den das Quartett glühend beschritt.

Dmitri Schostakowitschs Streichquartett b-Moll, sein 13., ist kaum weniger energiezehrend und ebenfalls ein »Abweichler« wie Schuberts D 703. Die Form folgt in beiden Fällen dem inneren Gedanken – aus der Beklommenheit ans Licht? Die Viola (Veronika Hagen) begann das Werk hauchig, als hinterfrage sie schon am Anfang die Situation, nahm gemeinsam mit dem Violoncello (Clemens Hagen) einen Aufschwung. Es war ein erregtes Frage-Antwort-Spiel, das die vier (nur Rainer Schmidt an der zweiten Violinist kein Hagen) dann boten, als hörte jeder in sein Instrument hinein, vertiefe sich in seine Stimme. Dabei entwickelten sie eine Energie, die aber nicht zum Bersten neigte, sondern ein stetiges Voranschreiten, Forschen imaginierte. Das Klopfen auf das Holz des Korpus‘ war musikalischer Bestandteil, nicht aufgesetzt, sondern organisch, drängend, gewachsen. Eng umschlungen bleiben die vier Stimmen, die immer wieder einzeln hervortraten – erneut war es die Viola, die besondere Akzente setzte.

Sie begann auch den dritten Satz allein – einsam. Das Violoncello schien ihr zu antworten: keine Hoffnung. Ihr Dialog wurde vom Pochen (zweite Violine) begleitet, bis sich Violinen und Violen erneut aufschwangen, Licht suchend – das Cello schwieg. Schostakowitsch verblüffte nicht nur mit der Form, sondern mit ganz ungewohnten Klängen – einmalig.

Nach der Pause folgte schließlich Ludwig van Beethovens Streichquartett cis-Moll, Opus 131, das zumindest der Dauer nach die beiden vorangegangenen Werke deutlich überragt. Doch das Gefühl eines Ungleichgewichtes kam nicht auf. Auch Beethoven begann mit fahlem Ton, zunächst der ersten Violine, der die Schwester folgte, die Viola … Mit dem süßen Celloton fanden die vier in musikalischer Homogenität zusammen, dann schien im Allegro molto vivace – endlich! – die Sonne aufzugehen. Gerade in der »Durchleuchtung«, im Ausloten dunkler Passagen und dem Finden des Lichts zeigte sich eine Stärke des Hagen-Quartetts, in der Art, wie sie »absatzlos« die Stimmung wandelten, von Satz zu Satz schritten. So konnte ein Allegro die Leichtigkeit eines Intermezzos haben, ein Adagio zum Gesangstrio mit Baß werden. Durchdachte Sinnenschwere könnte man es nennen, die sich am Ende dennoch hob – zum Licht.

29. Mai 2019, Wolfram Quellmalz

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