Christian Tetzlaff sagt bei der Dresdner Philharmonie vorläufig »Adé«
Mit Beethoven und Mendelssohn hatte Christian Tetzlaff in dieser Spielzeit bei der Dresdner Philharmonie bereits zwei der wichtigsten Konzerte der Violinliteratur im Programm gehabt, am Wochenende legte er nun mit Dmitri Schostakowitschs erstem Violinkonzert nach. Man kann eigentlich nur wünschen, daß diese Zusammenarbeit fortgesetzt wird.
Gleiches läßt sich von der Dirigentin des Abends, Karina Canellakis, sagen – möge sie wiederkommen! Für ihr Debüt in Dresden hatte die Amerikanerin neben Schostakowitsch Werke von Olivier Messiaen, Igor Strawinsky und Alexander Skrjabin ausgewählt. Interessant war in der Gegenüberstellung schon, woraus, also aus welchem Beginnen, die Komponisten ihren jeweiligen Klang erwachsen ließen.
Messiaen schöpft ihn zum Beispiel aus Dissonanzen, läßt den Ton der Streicher schweben und flicht subtile Holzbläserklänge ein. Seine »Hymne au Saint-Sacrement« fügt sich aus Partikeln unterschiedlichen Charakters zusammen, in denen man Ruhe und Vertiefung, Nebel und Licht ebenso finden kann wie dynamische Bewegungen oder Farben – die Chiffre sollte dennoch nicht als systematisches Puzzle verstanden werden, sondern Deutungen offenlassen.
Wie bei Schostakowitsch. Aus der Dunkelheit tiefer Streicher erhob sich das Werk, die Solovioline stimmte einen fast lyrischen Gesang an, der so intensiv wie einfühlsam blieb. Christian Tetzlaff verfügt über einen dunklen, feinen Ton, der mit großer Klarheit und einem herben Melos bezauberte. Karina Canellakis fächerte, wie schon bei Messiaen, den Orchesterklang breit auf, ließ einzelne Instrumentengruppen hervortreten, auch einmal dominieren (Blechbläser), deckte aber nie ein Detail zu. So behielt der Solist seine Führungsposition, das Gegenüber von Violine und Orchester war durchsichtig und erfrischend. Im Scherzo-Satz fanden beide zu grelleren Farben, die Steigerung führte Karina Canellakis, mit den beflügelnden Auflockerungen von Harfe und Celesta »erleichtert«, in einen imposanten Schluß. Die folgende Passacaglia kennzeichnete der Klagegesang der Violine, die in Kadenzen und im Duett mit dem Englischhorn den Höhepunkt des Konzertes darstellte. Schostakowitsch, scheint es, hat ihr Trauer und Melancholie eingegeben, deren Lebendigkeit jedoch durch Christian Tetzlaffs durchpulste Spielweise niemals in Frage stand. Mit einem atemlosen Finale bekräftigte er den Impetus, mag man die »Burleske« auch so oder so auslegen können.
Schostakowitschs Verzweiflung setzte Christian Tetzlaff in der Zugabe Bachs Zuversicht (Sarabande aus der Partita d-Moll, BWV 1004) entgegen.
Mit Igor Strawinskys »Chant funèbre« und Alexander Skrjabins »Le poème de l’extase« standen noch zwei Werke auf dem Programm, die man als Tongemälde oder -gedicht sehen (hören) kann. Erneut fand sich das Orchester in tiefen Streichern, wurde der Klang nach und nach aufgehellt, mit Echos (Trompete) und Schlagwerken angereichert. Während sich Strawinskys Gesang wieder verdüsterte, wuchs Skrjabins »Poème« zum Frühlingslied. Karina Canellakis gelang es dabei, auch in »maximaler Ausbaustufe« die Motive durchsichtig zu halten, sauber hervorzuheben, so daß man, bis hin zum Hintergrund der Orgel, die »Verse« des »Gedichtes« gut nachvollziehen konnte. Das große Orchester wahrte eine große Klarheit.
9. Juni 2019, Wolfram Quellmalz