Wiener Nacht auf Schloß Proschwitz
Zur Reihe der »Abweichungen« vom normalen Konzertformat gehören beim Moritzburg Festival neben öffentlichen Proben, Portraitkonzerten und Lesungen mit Musik auch das Gala- oder Dinerkonzert auf dem Weingut Schloß Proschwitz, und das schon seit vielen Jahren. Seit langem hat man dann die Qual der Wahl: in die kleine Kirche von Steinbach fahren und Solopartiten und Suiten hören oder eben Proschwitz – beides geht nicht oder nur für jene Künstler, die an beiden Orten auftreten und via Transfer schnell wechseln. Wir haben erstmalig die Proschwitzer Nacht besucht.
Wie immer hatte der Abend ein Thema. Nach manchen anderen Ländern in der Vergangenheit war es diesmal die »Wiener Nacht«. »Gehaltvoll«, »geschmackvoll«, »lustvoll« umschreibt wohl, was man erwarten durfe, in beiderlei Hinsicht – Musik und Menü. Launig war’s auf jeden Fall, denn die Walzer von Josef Lanner und Johann Strauss (Sohn) gehören zum Geschmackvollsten und Gediegensten, was man sich denken kann – beste, qualitätvolle Unterhaltung. Wie Jan Vogler am späteren Abend verriet: auch Musiker schauen sich jedes Jahr das Neujahrskonzert an, aber diese Musik selbst zu spielen, haben sie eigentlich nie Gelegenheit. Nun also hat der Intendant die Möglichkeit selbst geschaffen. Schon im Quartett mit Alexander Sitkovetsky und Kevin Zhu (Violinen), Ulrich Eichenauer (Viola) und Alexander Edelmann (Kontrabaß) entwickelte Lanners »Abendstern« tänzerischen Schwung. »If you like to dance – feel free« (Wenn Sie tanzen wollen – nur zu!) hatte der Primarius angekündigt und hielt danach musikalisch Wort. Der Kontrabaß bildete fortan, obwohl er rechts stand, das musikalische Zentrum, während Sitkovetsky, obwohl er links saß, seine Melodien durch den Raum wirbeln ließ, derweil Eichenauer und Zhu den Wiener Reigen mit kurzen Bogenstrichen und Pizzicati auflockerten, als bereiteten sie Eischnee für Salzburger Nockerln.
Mit Jan Vogler (Violoncello) im Bund nahm in den folgenden drei Walzern das Temperament noch zu, wobei die Musiker mit Kunstpausen und danach neu genommenem »Anlauf« auch miteinander Spaß hatten. Daß sie einen guten, klanglichen Ton dabei nicht vernachlässigten, spricht für Niveau und Wert der Unterhaltung. So werden »Wiener Blut« oder der »Kaiserwalzer« auch bei der hundertsten Wiederholung nicht langweilig!
Begonnen hatte der Abend noch etwas ernsthafter. Franz Schuberts unglaublicher »Quartettsatz« (c-Moll, D 703 mit Zhu, Sitkovetsky, Eichenauer und Vogler) durchbrach die Stille wie ein abendlicher Sonnenreflex, bevor Ziyu Shen (Viola) und Christian Poltéra (Violoncello) die unglaubliche Schönheit der Stimmen über die Virtuosität stellten: Ludwig van Beethovens »Duett mit zwei obligaten Augengläsern« kennt man im normalen Konzertbetrieb kaum, doch für Festivalbesucher ist das Kleinod mittlerweile ein lieber Freund geworden, der musikalisch beglückt und Beethovens derben, manchmal bissigen Humor aufzeigt.
Und auch an Wolfgang Amadé Mozarts »Kleiner Nachtmusik« kann man immer wieder Vergnügen finden, wenn sie aufgeführt, zelebriert wird. Trotz Quintettbesetzung (Sitkovetsky, Zhu, Shen, Poltéra, Edelmann) ist sie eben doch eine Serenade und öffnet sich zu größerer Form. Nicht für die Kammer, sondern für den Festsaal, das Foyer oder den Pavillon ist sie gedacht. Schlicht mitreißend war, wie die Spieler sie in ein champagnerlauniges Finale münden ließen.
Darüber zu diskutieren, war anschließend noch reichlich Gelegenheit. Zu Weißburgunder Spätlese, Grauburgunder und schließlich einem Traminer Riesling (alle aus den Weinbergen des des Schlosses) ging es weiter wienerisch zu – Geflügelleberparfait mit Aprikosen-, nein, natürlich Marillenchutney, Tafelspitz selbstverständlich, und am Ende hatte der Apfelstrudel nebst Kaiserschmarrn das letzte Wort. Salzburger Nockerln gab es nachvollziehbarerweise nicht zur »Wiener Nacht«! Ich habe selbst einmal die Gegenprobe gemacht und versucht, in Salzburg eine Wiener Mélange zu bestellen – hoffnungslos! Fast hätten sie mich dort verhaftet …
17. August 2019, Wolfram Quellmalz