Konzert der Dresdner Singakademie
Seit vielen Jahren gehört der »Adventsstern« der Singakademie und ihres Dirigenten Ekkehard Klemm ins vorweihnachtliche Konzertprogramm. Uraufführungen setzten mehr Ausrufungszeichen, als daß sie nur eine Alternative oder ein Kontrast zu traditionellen Liedern wären. Seit dem Bachfest vor drei Jahren ist dieser Fokus noch einmal um den Bezug »Bach | Zeit | Zukunft« geschärft. Den Blick in die Zukunft richteten nun die bisher jüngsten Komponisten, jene aus den Kinderkompositionsklassen Dresden und Halle.
Die Begriffe »Zukunft« und »Kinder« lassen sich nach wie vor mit einer Ausschau und unserer Nachfolge in Verbindung setzen, doch hat sich mit den »Fridays for Future« auch hier der Fokus geschärft. Wen wunderte es da, wenn am Sonntag in der Loschwitzer Kirche die gleichen Themen ins Programm kamen, die zu den »Fridays« – längst besteht die Bewegung aus viel mehr als nur Kindern oder Schülern – gehören?
Eine Komponistin und zwei Komponisten aus den Jahrgängen 2002 und 2003 hatten sich Gedanken zum Advent und der Weihnachtsbotschaft gemacht. Der Auftrag der Singakademie gab ihnen ein Thema bzw. den Bezug, aber sicher keine »Machart« vor – alles andere hätte wohl überrascht. Insofern war damit zu rechnen, daß der augenblickliche Impuls der Aussage größer sein könnte als die »musikalische Nachhaltigkeit«, doch gerade aus diesem (vermeintlichen) Widerspruch bezog das Konzert eine ungeheure Kraft.
Mit »Der Herr ist mein Hirte« (nach Psalm 23) von Jacques Bierbass, »Gegenteilige Weihnacht« von Hannes Kerda und »Es gibt keinen Weihnachtsmann« von Helene Scharfe wurden drei höchst unterschiedliche Werke uraufgeführt. Die Psalmvertonung Jacques Bierbass‘ folgte am ehesten dem klassischen Vorbild, deutete mit feiner Stimmverteilung und Instrumentierung den Text, hielt ihn schwebend und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Inhalt. Nachdem sich Chor und Orchester in fugierten und rhythmisch wandelbaren Passagen scheinbar weit entfernt hatten, fanden sie in der Zuversicht der Schlußzeile wieder zusammen.
Neben der Zuversicht der Weihnachtsbotschaft ist das Weihnachtsgeschäft heute mit viel Blendwerk und Trug verbunden. Hannes Kerdas »Gegenteilige Weihnacht« setzt dem nicht Zuversicht, sondern die schlagkräftige Erinnerung entgegen, daß Aussterben, Klimawandel und Erderwärmung an Festtagen keine Pause einlegen. Dazu bedient er sich auch kompositorischer »Gegenmittel«, erzeugt disharmonische, aufrüttelnde Verläufe und läßt sein Werk in einem apokalyptischen Aufschrei enden.
Eine aufrüttelnde Kraft kennzeichnet auch Helene Scharfes Komposition. Sie mischt zunächst weltliche und geistliche Zitate weihnachtlicher Chormusik, doch der virtuelle Spaziergang über einen Weihnachtsmarkt, aus dessen Buden man mit Musik dauerbeschallt wird, endet mit der entlarvenden Aussage »Es gibt keinen Weihnachtsmann« – also keinen, der uns die Last von den Schultern nimmt und ein Wunder erwirkt.
Der Kammerchor der Dresdner Singakademie und das Dresdner Barockorchester um Konzertmeisterin Margret Baumgartl hatten mit ihrem sorgsamen Vortrag gezeigt, wie ernst sie die Werke nahmen – die impulsive Kraft dieser Uraufführungen hatte etwas lebenspendendes.
Mit Gottfried August Homilius (»Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen« sowie »So du mit deinem Munde bekennest Jesum«) hatte es zwischen den neuen Werken eine klassische Gegenüberstellung und Bezugnahme gegeben. An Bach war es schließlich, vielleicht nicht die Wogen zu glätten, aber jene (innere) Ruhe herzustellen, aus der die Kraft wächst – auch die Tatkraft. Marie Hänsel (Sopran), Rahel Brede (Alt, beide in einem wunderschön ausgeglichenen Duett Domine Deus), Konrad Furian (Tenor) und Peter Fabig (Baß) gestalteten zum Abschluß mit dem Chor die Messe G-Dur (BWV 236).