Thielemanns Beethoven, 2. Etappe

Sächsische Staatskapelle legt mit vierter und fünfter Sinfonie nach

Im Dezember hatten Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden zum 249. Geburtstag des Komponisten ihren Beethoven-Zyklus mit den Sinfonien eins, zwei und drei begonnen, jetzt legen sie gleich den nächsten Teil vor.

Das »Häppchen« im Dezember hatte schon beeindruckt, brachte aber auch manchen Musiker und Konzertbesucher an seine Grenzen – über zwei Stunden konzentrierten Spielens oder Zuhörens. Doch wie man jetzt wieder im Programmheft lesen konnte, war Beethovens Akademie am 8. März 1807 im Palais Lobkowitz noch weit größer, kamen doch die ersten vier Sinfonien nebst einigen Arien und Konzertstücken zur Aufführung. Im Vergleich erscheint das Programm des 6. Sinfoniekonzertes der Staatskapelle geradezu schmal.

Dabei lohnt der Vergleich (oder das Erinnern) der Sinfonien durchaus. Zumindest, um die gängigen Klischees loszuwerden vom griesgrämigen Wüterich, vom stürmenden Revolutionär oder vom schicksalsschweren Titanen. Zwar mögen alle dieser »Bilder« zutreffen, doch fügen sie sich eben nicht bruchlos und geben nur einen Teil der Persönlichkeit wieder. Hört man einmal hin, vernimmt man viel liebreizende, ja zärtliche Musik; ruhige, tiefsinnende, nicht zuletzt humorige. Allein Beethovens Humor reicht – wie er ihn musikalisch ausdrückte – von hintersinnig über fröhlich bis hin zu überschäumend und derb.

Seine ersten Sinfonien ließ er mit einem Adagio beginnen, nur die dritte wich mit einem Allegro von dieser Eröffnungsformel ab (um gleichwohl suggestiv ruhig zu werden) – kein Wunder, daß Beethovens Hörer damals das Schicksal in der fünften um so mächtiger pochen hören mußten!

Für das Gros der Zuhörer in der Semperoper war es sicher die soundsovielte Aufführung dieser Sinfonien. Ob an gleicher Stelle, im Gewandhaus oder im Kulturpalast … Natürlich sind sie für niemanden mehr »neu«, doch Christian Thielemann und die Staatskapelle schaffen es, eine Authentizität in der Aufführung zu erreichen, daß selbst erfahrene Hörer meinen, so hätten sie Beethoven noch nie erlebt.

Das beginnt mit der vierten, in der sich das Schicksal bereits ankündigt. Nur klopft es nicht, es schleicht sich herein, um nach wenigen Takten plötzlich da zu sein. Das muß 1807 viele überrascht oder erschreckt haben (die Huster in der Semperoper hielt es leider nicht vom Husten ab). Und dann offenbaren Thielemann und die Kapelle eine Fröhlichkeit, wie sie einem Robert Schumann später eigen war. Sie entfacht sich und lebt von den Streichern, die stürmen können, dann wieder unterlegen sie den Bläsern einen seidigen Glanz.

Thielemann zelebriert die Sinfonie, im Adagio versinkt er förmlich genußvoll in der Musik. Das macht jede Note hörbar, doch das Schwelgen hemmt auch ein wenig die Spannung, wirkt fast selbstverliebt. Dies‘ Genußvolle läßt sich Thielemann nicht nehmen. Er macht Bezüge deutlich, läßt kantilene Soli (Robert Oberaigner) aufblitzen, formt das Menuett präzise und im Detail aus, läßt den Finalsatz strömen. Dabei geraten viele Akkorde zupackend straff, gerade am Schluß – ein rückblickendes Romantisieren kann man dem Dirigenten wohl kaum vorwerfen!

Das bestimmt ebenso den Beginn der fünften, die von einer Balance aus großer Tragfähigkeit aber angemessen langem (bzw. kurzem) Nachhall lebt. Kein Verweilen – es geht voran! Herrlich schwelgen noch die Violinen, da erinnern und erwecken die Trompetenstöße von hinten schon wieder (Verweile nicht, du bist so schön!) – ja, das Schicksal ist noch da und läßt nicht locker. Und immer wenn etwas ausklingt, und sei es noch so kurz, blüht da ein Nachschwingen, ein Lebensfunke, die Resonanz eines ganzen Klangkörpers.

Gleich mehrfach läßt Christian Thielemann »in diesem Dunkel das Licht angehen«. Beethoven als Erleuchtung? Mehr kann man kaum erwarten, weniger nicht dulden, weiß Thielemann, und freut sich am Orchester, daß aus dem fröhlichen oder schicksalhaften Brummeln der Fagotte und der vorwitzigen Flöte jenen Beethoven-Humor hervorkitzelt, den herabsinkende Pizzicati noch verstärken. Nicht in Taumel oder Tumult, in ein Freudenfeuer führt das Allegro dieser fünften.

14. Januar 2020, Wolfram Quellmalz

Heute, 20:00 Uhr in der Semperoper, noch einmal: Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann (Leitung), Ludwig van Beethoven, Sinfonien Nr. 4 und 5

Ab 20:05 Uhr im Radio (mdr Kultur und mdr Klassik).

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