Zweites Konzert in Moritzburg mit überraschender Uraufführung
Manche, die am Dienstag auf die Schloßterrasse nach Moritzburg kamen, hatten am Tag zuvor bereits die öffentliche Probe besucht. Diese bot am traditionellen Ort in der Kirche eine andere Umgebung, ließ mehr Intimität zu, als dies draußen möglich wäre. Darüber hinaus konnte man so ein wenig am Prozeß, wenn Stücke erarbeitet werden, teilnehmen.
Wie bei Bohuslav Martinůs zweitem Streichquartett, dessen Uraufführung ein Höhepunkt des Dienstagabends war. Und das ein wenig unvermutet, denn die Geschichte, Jan Vogler habe eine Partitur-Handschrift des Stückes erworben und dann festgestellt, daß es sich um eine frühe Fassung des Werkes von 1923 handelt, ließ noch nicht auf die Unterschiede schließen. Wie sich zeigte, waren diese aber gravierend, betrafen nicht nur Stimmführung und Ausgewogenheit. Das zeigte sich gleich zu Beginn: während in der bekannten Fassung von 1925 das Moderato stetig wächst und ins Allegro vivace mündet, freundliche Farben gewinnt, schien der Komponist zwei Jahre zuvor deutlich suchender, der Satz fahler, weniger lebensfroh. Mit Rauhheiten und Sprödheit scheint er manchmal auf Schostakowitsch vorauszuweisen, wirkt insgesamt fragiler. Nathan Meltzer und Mira Wang (Violinen), Sindy Mohamed (Viola) und Andrei Ioniță (Violoncello) nahmen einzelne Fäden auf, ließen daraus burleske Tanzmotive sprießen. Doch war dies kein »Imitat«, immer wieder wurde eine Doppelbödigkeit deutlich – auch dies eine Parallele zu Schostakowitsch.
Das Quartett ging behutsam, sorgsam ans Werk, ließ einen zerbrechlichen, verletzlichen Ton entstehen – die Spätfassung ist deutlich verwobener, oft lyrischer. Und glatter – das an zweiter Stelle stehende Andante offenbarte im Konzert eine größere dramatische Tiefe. Der letzte Satz wiederum begann 1923 noch mit einem Anstieg, zwei Jahre später läßt ihn Martinů losgalloppieren. Welches zweite Quartett nun das bessere, schönere sei, ist schwer zu sagen. Der Komponist hat mit der Überarbeitung eine klare Aussage getroffen, doch ist es lohnend, den »Stand« zwei Jahre zuvor weiterhin zu beachten. Da das Bohuslav Martinů Institut Prag als Kooperationspartner beteiligt ist, sollte nichts im Wege stehen, beide Versionen auch künftig zu vergleichen.
An manchen Tagen gibt es in Moritzburg mehr als nur einen »Rahmen«, sondern zusätzlich ein Vorprogramm. Und so hatte Nathan Meltzer den Abend mit Lise de la Salle im Portraitkonzert mit Ludwig van Beethovens erster Violinromanze und der Sonate Nr. 8 begonnen. Im Abendkonzert ging es zunächst mit dem Jubilar weiter: Mira Wang (Violine), Ulrich Eichenauer (Viola), Christian-Pierre La Marca (Violoncello) machten deutlich, daß die Streichtrios oft zu unrecht gegenüber Klaviertrios und Streichquartetten vernachlässigt werden. Opus 9 Nr. 1 zeigte sich allein in der Ausgewogenheit auf Augenhöhe mit den Quartetten, die Interpretation war schlicht superb.
Nicht nur Ausgewogenheit, sondern ein sinfonisches Zusammenspiel hatte Johannes Brahms zu immer neuen Formen geführt (und seine damaligen Zuhörer oft zunächst verstört). Sein Klavierquartett Opus 26 ist – ganz anders als das etwa zeitgleich entstandene Schwesterwerk Opus 25 – davon getragen. Mit einem Pianisten wie Andrea Lucchesini besteht keine Gefahr, dem Piano eine exponierte Stellung einzuräumen. Lucchesinis Anschlagskultur ist schlicht sagenhaft – man wünschte sich, ihn bald wieder einmal zum Klavierabend zu erleben! Mit Baiba Skride (Violine), Moritzburg-Neuzugang Karolina Errera (Viola) und Jan Vogler (Violoncello) wuchs der Italiener zu einem sinfonischen oder »brahmsischen« Quartett, das seliges Schwelgen erlaubte. Die Melodie trägt eben, und selbst wenn Andrea Lucchesini etwas lauter spielte, behielt sein Ton eine Spur von Samt. Der fand sich in den Streichern wieder, und so war das Feuer des letzten Satzes ein sanftes, inneres, also ganz kammermusikalisches.
5. August 2020, Wolfram Quellmalz
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