Dresdner Orgelzyklus in der Kreuzkirche fortgesetzt
Mit der Verschiebung fast bis in den Sommer hinein war auch der traditionelle Auftakt des Dresdner Orgelzyklus anders als sonst. Am 2. Juni aber konnte er beginnen, Michael Vetter (Bautzen) spielte an der Orgel von Daniel Kern in der Frauenkirche.Gestern fand das zweite Konzert der Reihe, nun in der Kreuzkirche statt, und wie immer an diesem Ort empfing Kreuzorganist Holger Gehring seinen Gast, an diesem Abend Andreas Meisner, direkt vor dem Konzert zum Gespräch »unter der Stehlampe«. Obwohl diese momentan noch eher seitlich steht, solange das Gespräch noch nicht in den Raum der Heinrich-Schütz-Kapelle zurückkehren kann, gab es wieder manches erhellende zu erfahren – zum Organisten, zum Ort seiner Herkunft bzw. seinem derzeitigen Amtssitz, dem Altenberger Dom – Altenberg im Rheinland wohlgemerkt. Der Ort ist winzig, besteht eigentlich nur aus dem Dom und vier Gasthäusern, erzählte Andreas Meisner. Die Simultankirche (für beide christliche Konfessionen) verfügt neben dem prachtvollen Westfenster (um 1400 fertiggestellt, größtes gotisches Bleiglasfenster nördlich der Alpen) über eine Orgel der Firma Klais aus Bonn, die in Größe und Disposition zwar vergleichbar mit dem Dresdner Jehmlich-Instrument ist, jedoch um einiges Mächtiger klingen kann. Holger Gehring, der beide Instrumente kennt, meinte, in der Kreuzkirche fühle man sich eigentlich nie »erschlagen«. Wobei allerdings anzumerken wäre, daß manches, wie Wagner-Transkriptionen, auch hier mindestens überwältigend ausfallen können …
Doch gestern bestand keinerlei Gefahr musikalischer Kraftakte. »Virtuose Orgelromantik« hatte Andreas Meisner sein Programm genannt und Werke gegenübergestellt, die nicht nur Virtuosität und Romantik, sondern auch der Klangpoesie deutscher und französischer Tradition folgten. Félix Alexandre Guilmant und Nicolas Jacques Lemmens gehörten die ersten beiden Werke und sorgten sogleich für einen Reichtum an Ornamenten und Farben sowie für Gegensätze. Teilweise innerhalb der Stücke – Guilmants Sonate Nr. 4 wechselt zwischen strahlkräftigem Allegro (mit vielen dynamischen Stufen) und innigem Andante zu einem Menuetto, das sich deutlich als Scherzo zu erkennen gab. Für den Zwischenkontrast hatte der Komponist selbst gesorgt und dem Finale eine bedächtige Einleitung vorangestellt.
Lemmens Cantabile, als Ruhepunkt programmiert, glitt nicht nur weich und gedämpft in den Farben der Holzbläser dahin, sondern wartete mit einem erfrischenden Mittelteil auf. Mit Franz Liszts klangbildliche Erzählung über den Heiligen Franziskus von Paula bewies Andreas Meisner, daß es neben dem Beeindrucktsein (oder schierer Virtuosität) noch einen erzählerischen Gestus in der Musik gibt – hier wurde der Weg Franziskus‘ über das Wasser (bzw. die zunehmende Kraft des Wassers) spürbar.
Nicht alle Werke des Abends waren Holger Gehring bekannt (bzw. hatte er noch nicht alle selbst gespielt). Marco Enrico Bossis Scherzo allerdings schon. Das müsse man »durchaus üben«, waren sich die beiden Organisten – wiewohl ein wenig ironisch – über diese anspruchsvolle Literatur einig. Purer Leichtigkeit offenbarte Andreas Meisner hier, die an Mendelssohns Scherzi ebenso erinnerte wie an Mahlers Lieder – eine Bereicherung!
Mit Max Regers Siciliano (aus sechs Trios Opus 47) war noch einmal ein Ruhepunkt eingeschoben, diesmal eindeutig und ohne »Überraschungsschnörkel«, bevor Siegfrid Karg-Elert den Schlußpunkt setzen durfte, der mit dem sinfonischen Choral »Jesu meine Freude« vielleicht den weitesten Raum durchschritt und die Choralstimme wandern ließ. Auch er beschrieb dabei Bilder oder Szenen, etwa einer »Weltuntergangsmusik« am Anfang.
17. Juni 2021, Wolfram Quellmalz
In den nächsten Wochen geht der Dresdner Orgelzyklus weiter. Am kommenden Mittwoch spielt Frauenkirchenorganist Samuel Kummer In der Frauenkirche Werke von Jan Pieterszoon Sweelinck, Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach und anderen. In der Kreuzkirche wird am 7. Juli Daniel Roth aus Paris – einer der Lehrer Holger Gehrings und Andreas Meisners – erwartet, am 21. Juli (Jörg Abbing) erklingt dann auch wieder die Orgel in der sanierten Hofkirche im Rahmen des Orgelzyklus‘. (Ein Termin für das nächste Orgelkonzert im Kulturpalast ist noch nicht bekanntgegeben.) Wer aber nicht warten will, kann Andreas Meisner gleich heute noch einmal erleben. Im Freiberger Dom spielt im Rahmen der Abendmusiken an der Silbermannorgel ein ganz anders Programm als in der Kreuzkirche.
Termine und Konzerte unter:
https://www.kreuzkirche-dresden.de/veranstaltungen/veranstaltungskalender/