Vom Krümeln der Semmel beim Aufschneiden, verkannten Flöten und verschobenen Abschieden

Moritzburg Festival feiert Bergfest mit Lesung und Konzerten

Manche Orte, vor allem kleine, sind momentan schwer zugänglich oder können mit Hygienekonzepten nicht dem Bedarf der Zuschauer(menge) entsprechen. Wohl denen, die einen Garten haben – wie schon im vergangenen Jahr zog das MBF am Sonnabend hinter das Käthe-Kollwitz-Haus – drinnen konnte man noch einmal die aktuelle Sonderausstellung »angesichts – Selbstbildnisse« besuchen.

LESEKONZERT

Im Garten – der Veranstalter hatte dankenswerterweise mit reichlich Sonnendächern eine angenehme Atmosphäre geschaffen – las Hannelore Koch aus Werken Stefan Heyms. Ob  »Nachbemerkung«, »Immer sind die Weiber weg«, »Immer sind die Männer schuld« oder »Altersweisheit« – Hannelore Koch versuchte weder Heym zu imitieren noch beschwor sie nostalgisch eine alte Zeit. Sie las vielmehr als Leserin, als Frau, mit viel Verständnis für den Autor und seine Gattin – oder für das Leben und dafür, daß Semmeln nun einmal krümeln, wenn man sie aufschneidet (»Immer sind die Männer schuld«). Nicht wenige dieser Betrachtungen hatten offenbar einen allgemeingültigen Charakter, wenn man nach den Reaktionen der Zuhörerpaare ging, die sich vergnügt gegenseitig wiedererkannten.

Neben dem zwanzigsten Todestag des Autors wollte das Lesekonzert auch an 1700 Jahr jüdischen Lebens in Deutschland erinnern.  Klarinettist Pablo Barragán steuerte zwischen den Teilen Klezmertitel bei, wobei ihm ironische Zwischentöne zur Verfügung standen, wie sie auch in Stefan Heyms Texten zu finden sind. Am Ende der guten Stunde riefen die Gänse zum Schloß herüber …

MOZARTS ERSTES FLÖTENQUARTETT

Viele der Besucher ließen sich später das Abendkonzert auf der Nordterrasse des Schlosses nicht entgehen. Wolfgang Amadé Mozarts Flötenquartett D-Dur (KV 285) vereint – allem Geunke über das vom Komponisten angeblich ungeliebte Instrument – ausschließlich unbelastete Attribute. Magali Mosnier (Flöte), Chad Hoopes (Violine), Ulrich Eichenauer (Viola) und Santiago Cañón-Valencia (Violoncello) boten das quirlige Stück in heiterer Atmosphäre mit einem Violoncello, das immer wieder zum Gegenpol zur führenden Flöte gereichte, diese aber nie überbot – sehr zum Ärger der schimpfenden Schwalben – fühlten sie sich durch die Flöte provoziert? Im Adagio schien ihr Ruf zustimmender, vielleicht hatte sie Magali Mosnier mit ihrer mühelosen Phrasierung auch schlicht verzückt. Das sich die Gänseschar schließlich hinter dem Rondeau schnatterten, hätte den Komponisten sicher vergnügt.

Franz Schuberts Gesangsszene »Der Hirt auf dem Felsen« (D 965) erzählt von Liebe, Gram und Sehnsucht. Chelsea Guo gelangen gerade die emphatischen Phasen mit reichem Vibrato dramatisch, auch Tonsprünge oder große Steigerungen formte sie stark aus, während ihr Ansatz sowie gehaltene, schlichte Passagen matt blieben und die Sopranistin – oft mit Blick auf die Noten – nicht frei schien. Pablo Barragán und Wu Qian (Klavier) waren als Begleiter nicht nur Rückgrat, sondern auch das Herz der Szene. Pablo Barragán begeisterte mit seiner Kantabilität und damit, wie er aus dem nichts schwebende Töne formte!

BARHMS‘ FRÖHLICHER, UNBESCHWERTER KEHRAUS

Doch kein Ende fand einst Johannes Brahms. Ohnehin zu selbstironischen Kommentaren in bezug auf eigene Werke neigend, ließ er später glücklicherweise seinem als Abschluß gedachten Streichquintett Nr. 2 G-Dur noch weitere folgen. Als Finale für den Abend war sein Opus 111 ein prächtiger (vorläufiger) Endpunkt, der noch einmal alle schwärmerische Dichte, aber auch die zärtlichen Verästelungen wachrief, zu denen der Komponist fähig war. Kai Vogler und Seiji Okamoto (Violine), Ulrich Eichenauer und Karolina Errera (Viola) sowie Christian Poltéra (Violoncello) nahmen den Impuls auf und gaben ihn untereinander weiter – schon das einleitende Allegro non troppo blitzte begeisternd. Mögen in den Mittelsätzen Wehmut und Sehnsucht hauchen – es war kein leidender Rückblick im Moment, sondern einer, der einen ganzen Lebensweg, also auch das Glücklichsein, umfaßte. Wer schließt schon ein Lebenswerk »Vivace« ab? Ulrich Eichenauers Viola drang fein aus dem Quintett hervor und schien schon vorauszusagen, daß bei soviel Leben wohl noch etwas folgen würde – bei Brahms ist es historisch erwiesen, in Moritzburg werden wir es in dieser Woche erleben.

15. August 2021, Wolfram Quellmalz

http://www.kollwitz-moritzburg.de

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