Sommerliche Stimmung beim Moritzburg Festival auch in der Kirche
Zum zweiten Mal nach der Eröffnung mußte das Abendkonzert des Moritzburg Festivals am Dienstag in die Evangelische Kirche verlegt werden. Außer einem drohenden Regenguß und der Kühle sorgte vor allem der Wind für »nicht aufführungsgemäße« Zustände.
»Kammermusik« ist oft mit bestimmten Besetzungen verbunden. Werden die Beteiligten weniger, wird aus dem Quartett erst ein Trio, zu zweit spricht man in der Regel von Sonate. Doch es gibt reizvolle Duos oder Terzette, die ebenso zu zweien oder dreien besetzt sind, aber doch von der gewohnten Form abweichen. Wie Antonín Dvoráks Terzett Opus 74 in C-Dur, denn es ist weder ein herkömmliches Streich- oder Klaviertrio. Statt dessen treffen zwei Violinen auf eine Viola – der damaligen Situation und Dvořáks Mitspielern entsprechend. Die hatten eine Violine, während der Komponist, von Berufs wegen ursprünglich Bratschist im Orchester von Karl Komzák, die Viola traktierte. Oder gekonnt spielte. Denn deren Part gelang Lars Anders Tomter besonders schwungvoll, böhmisch, derweil Chad Hoopes und Mira Wang auf den Violinen becircten. Zwischen Romanze und Intermezzo eröffneten sie das Konzert und ließen es in Variationen münden. Auch Franz Schubert sollte später variieren, nur daß bei Dvořák Kornfelder zu wogen statt eine Forelle zu springen schien.
Gleich noch ein ungewöhnliches Duo und noch mehr Variationen präsentierten Nathan Meltzer (Violine) und Santiago Cañón-Valencia (Violoncello). Joseph Ghys und Adrien-François Servais hatten brillant über die Hymne »God save the King« phantasiert. Beginnend wie ein capricieuses Duo à la Paganini werden sehr bald die Variationsmöglichkeiten beider Instrument durchschritten, mal die Violine, mal das Violoncello in den Vordergrund gesetzt. Seit der Probe am Vortag hatten Nathan Meltzer und Santiago Cañón-Valencia das Schau- oder Hörstück noch ein wenig mehr aufpoliert und ihm zusätzlichen Glanz verliehen.
Mit Maurice Ravels »Chansons madécasses« und Chelsea Guo (Sopran), Magali Mosnier (Flöte), Santiago Cañón-Valencia sowie Louis Lortie (Klavier) gab es vor der Pause gleich noch so ein Werk, das man selten zu hören bekommt. Chelsea Guo fand in den Chansons die bisher vielleicht am meisten ihr entsprechenden Stücke. Fast Opernszenen sind sie im Charakter, verlocken mit glutvoller Sinnlichkeit und expressivster Gestaltung. Die Sopranistin überraschte einmal mehr mit Stimmvolumen und -farbe. Ihre Begleiter – von Ravel nicht als reguläres Trio vorgesehen, sondern nach Strophe oder Passage mit unterschiedlichen Anteilen bedacht – trugen zu stimmungsvollen Beschreibungen, irisierenden Schattierungen und leuchtenden Farben bei.
Nach so viel Extravaganzen gab es schließlich einen »Standard«, wiewohl Werk und Komponist solche Kategorisierung natürlich verbieten –Franz Schuberts »Forellenquintett« gehört nach Moritzburg wie die Forelle in den Bergbach! Chelsea Guo übernahm hier nun das Klavier, das ihrem Erst- oder Zweitfach neben der Singstimme entspricht, Kai Vogler (Violine), Karolina Errera (Viola), Santiago Cañón-Valencia und Janne Saksala (Kontrabaß) schlossen den Kreis um sie. Insgesamt blieb diese Forelle jedoch ein wenig unter den gewohnten Darbietungen, weniger frisch und lebendig. Vielleicht, waren die Positionen nicht gleichstark besetzt – Karolina Errera war jedoch eine starke Mittelstütze und sorgte mit Santiago Cañón-Valencia für einen Sog im Andante, Janne Saksala war ganz klar (neben Kai Vogler) der zweite Führende in diesem Quintett, der sonor schnurren, aber eben auch virtuos den Bogen hüpfen lassen konnte.
18. August 2021, Wolfram Quellmaltz