Tanz auf dem Vulkan

Antoine Tamestit begann Residenzsaison bei der Sächsischen Staatskapelle

Das ist schon etwas Besonderes, wenn der Capell-Virtuos oder sonst ein Residenzkünstler, einmal kein Violinist oder Pianist ist. Dabei zeigen die durchaus gegebenen Beispiele von Cellisten, Harfenisten oder Countertenören, wie bereichernd solche Standardabweichungen sein können. Im Fall von Antoine Tamestit scheint diese Bereicherung schon vorab garantiert. Einerseits, weil der Franzose eine positive Extravaganz lebt – in seiner Kleidung wie in seinem Spiel, andererseits, weil es sonst kaum einmal die Möglichkeit gibt, die Viola als Solistin gleich in verschiedenen Stücken zu erleben. In dieser Spielzeit haben wir diese Möglichkeit.

Die Eröffnung der Sonntagsmatinee in der Semperoper hatte zunächst Zoltán Kodálys »Tänzen aus Galanta« gegolten. Schon hier stellte Dirigent Lorenzo Viotti mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden zwei Elemente heraus, die für den Vormittag prägen blieben: Melancholie bzw. Leidenschaft und Kolorit. Dies zeigte sich nicht allein mit der Verve, mit der er sich in die Werke warf, sondern vor allem in den in Gruppen arrangierten Soli wie den Celli, Blech- und Holzbläsern, die das Eingangsthema wiederholten, auf das die hohen Streicher antworteten. Die exotische Farbe entsprang dabei nicht allein den rhythmischen Strukturen, sondern rührte vor allem von Bläsern wie der Piccoloflöte oder dem ausschweifenden Klarinettensolo (Wolfram Große) her. Mit dem fast tumulthaften Finale zündete Kodály ein wahres Farbfeuerwerk.

Dem standen die innigen Klänge aus Béla Bartóks Konzert für Viola und Orchester Sz 120 gegenüber. Dabei handelt es sich genaugenommen um eine Rekonstruktion, denn der Komponist hatte bis zu seinem Tod außer der Solostimme nur Skizzen übriggelassen, die zudem interpretierbar und mehrdeutig waren. Die Fassung von Nelson Dellamaggiore und Bartoks Sohn Peter kommt dem Original wohl recht nahe. Zumindest ist eine Verwandtschaft mit Bartóks Violinkonzerten (und damit sein Personalstil) erkennbar, was aber auch einen (von der Violine her?) gesteigerten virtuosen Anspruch bedeutet. Antoine Tamestit genügte diesem aber behende, ohne der Beweislast, daß die Viola ihrer Schwester in der Virtuosität nichts nachsteht, zu unterliegen oder es zu »sportlich« zu nehmen. Somit blieb viel Kolorit erhalten – schließlich hält die Bratsche mitunter die schönsten mittleren Tönungen parat.

Und die konnten sich entfalten, denn einerseits bietet das Werk immer wieder Solopassagen (wenn auch weniger im Sinne von Kadenzen) für den Spieler, andererseits läßt Bartók trotz umfangreichen Orchesterapparats immer wieder Platz für kammermusikalische Dialoge wie mit der wunderbar singenden Oboe (Rafael Sousa).

Nicht nur bißchen virtuos, fetzig darf es bei Tamestit gerne sein – wie in seiner mit Konzertmeister Tibor Gyenge improvisierten Zugabe, einem Duo à la Bartók.

Mit viel Farbe ging es nach der Pause weiter, denn nun standen noch zwei Ballettsuiten auf dem Programm: Francis Poulencs »Les animaux modéles« sowie Maurice Ravels »Daphnis et Chloé«. Beide folgen der französischen Tradition und brauchen viele Bläser, beide kolorieren Sätze oder Teile, die fast ohne Unterbrechung ineinander übergehen. Und doch sind sie grundverschieden. Poulencs Suite schwang sich nach einer von den Bläsern erzeugten Schwebung ungemein weitschweifig auf, gerade im Vergleich mit Ravels betörender Leichtigkeit wirkt er schon mehr als ein wenig pathetisch. Doch die »französische Farben« sind weit mehr als blau, weiß und rot – in den Illustrationen von Poulenc verbarg sich ein majestätischer Löwe, während bei Ravel eine Pantomime wortlos tanzte – Lorenzo Viotti hatte wohl Freude an all diesen Farben, sein Publikum auch.

14. November 2021, Wolfram Quellmalz

Antoine Tamestit kommt noch zweimal nach Dresden: zum 5. Sinfoniekonzert im Januar sowie zu einem Rezital mit Cédric Tiberghien im Mai. Weiter Informationen unter: http://www.staatskapelle-dresden.de

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