Grübelnder Reger, atmender Beethoven

Marek Janowski und Marc-André Hamelin mit zwei großformatigen Werken im Kulturpalast

Die Dresdner Philharmonie bleibt bei ihrem Konzept, ein beliebtes »Zugpferd« mit einem unbekannten oder etwas sperrigen Werk zu kombinieren und bietet damit Gelegenheit für manche Entdeckung. Am Wochenende gab es mit Beethovens sechster Sinfonie und Max Regers Klavierkonzert gar ein extra großes Programm: nach einem Sonder- und zwei regulären Konzerten im Kulturpalast fuhr das Orchester am Sonntag nach Wrocław ins Nationale Forum für Musik.

Regers Klavierkonzert sperrt sich durchaus dagegen, einfach so verstanden oder empfunden zu werden. Im Vergleich mit Johannes Brahms fällt uns heute Hörerfahrenen auf, daß sich Brahms‘ sinfonisches Denken eben »flüssiger« ergießt (dafür offenbart sich zuweilen eine an Saint-Saëns erinnernde Chromatik) – Brahms läßt seinen Gefühlen freien Lauf. Max Reger unterwirft sein Werk dagegen noch dazu einem Wandel, verwebt einmal den Solisten dicht mit dem Orchester, schafft dann Gegenüberstellungen mit Soli. Marc-André Hamelin ist ohnehin ein Pianist, der das Extreme nicht scheut – er suchte und fand eine Schärfung der Regerschen Sinne nach dem (beinahe) Urschrei-Beginn in einem überraschend perkussiven Ansatz. Daß er später darauf zurückkam, beweist seine Stringenz, zuweilen schien es dennoch etwas mächtig, überhöhte den Klavierpart deutlich – Regers Konzert wirkte kantiger, weniger sinfonisch. Hamelin wurde jedoch nicht müde, zu strukturieren und dynamische Stufungen zu finden, im zweiten Satz mit seinen dialogischen Beziehungen legte er eine geradezu schumanneske Sichtweise vor.

Die Dresdner Philharmonie füllte unter Marek Janowskis umsichtiger Leitung – auch am Sonnabend achtete er sorgsam darauf, hier und da kleinste Korrekturen anzubringen – Regers Weitschweifigkeit prächtig aus. Allein »kolossal« ist das Stück dann doch nicht, eher vergrübelt. Marek Janowski machte auf die Ecken aufmerksam, auf luftige Passagen und fragile Momente, baute ein Crescendo so präzise auf wie ein Decrescendo ab, ließ im Allegretto con spirito geradezu eine Ländlerfröhlichkeit zu. Daß am Ende der Funke der Begeisterung nicht ganz aufs Publikum übersprang, mag dem Werk geschuldet gewesen sein. Obwohl mehrfach hervorgeklatscht, wollte sich Marc-André Hamelin zu keiner Zugabe verleiten lassen.

Von eher emotionaler denn pittoresker Deutung gab es in Beethovens »Pastorale« noch mehr. Mit den geschärften Sinnen von Philharmonie und Dirigent könnte man sich gar fragen, ob da wirklich ein Gewitter dargestellt wird oder einfach ein musikalischer Tumult des zornigen Beethoven losbricht – »Gewitter« gehören doch ins Reich einer Alpensinfonie oder von Vivaldis »Sommer«! Solcher Bilder ungeachtet lag der Hörgenuß viel mehr darin, zu beobachten, wie sich Melodie oder Bläsersoli und das aus den Bässen resultierende Strukturgerüst innig vereinigten, wie die beglückende Ruhe der »Szene am Bach« von einem sanft anregenden Tremolo belebt wird – Beethoven hat kein verzärteltes, zuckeriges Idyll niedergeschrieben, sondern bewahrt auch in stilleren Momenten einen vibrierenden, vitalen Grundton. Derart sublim zwischen Streichern, Oboe und Hörnern aufgespannt dargeboten, wurde auch die soundsovielte »Pastorale« zum Erlebnis!

30. Januar 2022, Wolfram Quellmalz

Wer den Pianisten einmal anders erleben will dem sei seine neue CD empfohlen. Gerade erschienen: Marc-Andre Hamelin, Carl Philipp Emanuel Bach: Klaviersonaten & Rondos, 2 CDs, Hyperion

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