Überwältigende Emotionalität

kammerchor cantamus dresden reiste in der Kreuzvesper durch die Jahrhunderte

Daß der kammerchor cantamus dresden einst (1995) vom künftigen Kreuzkantor Martin Lehmann gegründet wurde, mag man als zwar gutes Zeichen, aber nur nebenbei feststellen. Seit 1995 ist viel geschehen, seit 2019 leitet Robert Schad das Ensemble – gut die Hälfte dieser Zeit muß man eigentlich als »schlechte Zeit« sehen, gerade für Chöre. Doch meint dies nur für die äußeren Umstände. Robert Schad gelingt es immer wieder auf unnachahmliche Weise, Zusammenhalt zu schaffen, für vibrierende Emotionalität zu sorgen. Der kammerchor cantamus dresden verfügt über einen Klang, der zutiefst »trifft«, der die Zuhörer bzw. Gemeinde mit dem ersten Ton mitreißt und zum Kern eines Liedes, und sei es noch so schlicht, vordringen kann, ungeachtet dessen, ob da eine Botschaft versteckt liegt oder in einer fremden Sprache gesungen wird. Die Homogenität der Sängerinnen und Sänger ist ausgewogen, noch höher aber sind wohl Ausdruck und Gestaltung zu schätzen.

Am gestrigen Sonnabend in der Kreuzvesper vor Reminiszere entführte cantamus zunächst nach England, zu Henry Purcell (Hear my prayer) und ins 17. Jahrhundert. Mit Richard Farrant (Call to remembrance) ging es gar noch einmal weit über einhundert Jahre zurück. Die Ruhe und Kraft, die in den Zeilen lag, war zutiefst ergreifend! Doch der Kammerchor kann auch »leuchten«, verfügt über Farben, die blühen, wachsen, zu Herzen gehen. So war zwischen den aus der Renaissance stammenden Werken und Maurice Duruflés »Ubi caritas et amor« oder Felix Mendelssohns »Richte mich, Gott« weder Bruch noch eine »Schwelle« der Zeit zu spüren.

Heinrich Schütz durfte in so einem Programm sicher nicht fehlen – seine Mottete »Herr, wenn ich nur dich habe« (SWV 280) erwies sich als Meisterwerk an Kraft und Hingabe. Doch auch mit modernen Stücken verblüffte und begeisterte cantamus, wie Fredrik Sixtens schwebendes, fast stehendes »Alleluia« oder Rudolf Mauersbergers zum Abschluß präsentiertes demütiges Gebet »Herr, bleibe bei uns« – einem Stück, das manchem vielmaligen Besucher, selbst solchen mit Kreuzchorvergangenheit, unbekannt war.

Holger Gehring spannte nach dem Einzug und vor dem Gemeindegesang Dieterich Buxtehudes Toccata in d (BuxWV 155) auf – noch so ein frühes Meisterwerk und wohl einer der Gründe für den jungen Johann Sebastian Bach, sich zu Fuß auf den Weg nach Lübeck zu machen.

Hier soll aber nicht der Eindruck entstehen, all dies sei nur Wohlklang gewesen, der für kurze Zeit eine »heile Welt« nachgezeichnet hätte – mitnichten! Pfarrer Holger Milkau erinnerte in seinem Geistlichen Wort gerade an die Ängste und Sünden, welche den Frieden »vertrieben haben« – er nun wieder eingeladen werden, was keiner alleine schaffe.

Zumindest gestärkt und nicht allein durfte man sich angesichts fühlen.

13. März 2022, Wolfram Quellmalz

Die Kreuzvesper am kommenden Sonnabend gestalten der Dresdner Kreuzchor, Kreuzkantor Roderich Kreile (Leitung), das Junges Sinfonieorchester des Landesgymnasiums für Musik, Kreuzorganist Holger Gehring (Orgel) und Superintendent Christian Behr (Liturg) unter dem Titel »Verleih uns Frieden gnädiglich« zugunsten der Betroffenen des Ukraine-Krieges. Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

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