»Der alte Bach ist da«

232. Veranstaltung der Reihe Offenes Palais

Dem musikalischen Verständnis nach standen sich Johann Sebastian Bach und Friedrich II. von Preußen so fern wie beinahe nur möglich – während für Bach die Kunstfertigkeit der Verarbeitung, die Struktur, Polyphonie, also das, was man aus einem Thema macht, das wesentliche und hohe Ziel darstellte, folgte Friedrich jener Strömung, der auch die Bach-Söhne angehörten: der Empfindsamkeit. Die Melodie, ein gefühlvoll dargestelltes Thema, stand bei möglichst großer Schlicht- und Klarheit im Vordergrund. Während sich Bach und seine Söhne miteinander auseinandersetzten, nutzte Friedrich der Große seine königliche Hoheit, um Bach, als er gerade in Potsdam angekommen war (noch in Reisekleidung!), in seinen Konzertsaal zu »bitten«. »Meine Herren, der alte Bach ist da«, soll er den Leipziger Gast wenig ehrenvoll angekündigt haben, um ihm dann ein Thema vorzugeben, über das Johann Sebastian bitte spontan eine sechsstimmige Fuge improvisieren sollte. Nur war das Thema gänzlich ungeeignet, eine Fuge daraus zu ersinnen. Friedrich, bei dem das Wort »Dilettant« durchaus nicht abwertend gemeint ist, wußte dies sehr wohl.

Am Freitag konnten sich die Besucher im Palais im Großen Garten nicht nur an der Musik, die aus dieser Begegnung folgte, erfreuen, sondern bekamen die Anekdote auch noch ausführlich erzählt. Jan Katzschke ordnete sie dabei historisch und vorsichtig ein – er weiß ganz genau, was sicher überliefert ist und was nur vielleicht. Überliefert ist, daß Bach dem Ansinnen nachkam und das unpraktische Thema ad hoc dreistimmig fugierte. Später nach der Reise schrieb er ein ganzes »Musikalisches Opfer« (BWV 1079) nieder, das er dem König schenkte. Keineswegs devot, denn es ist gespickt mit Aufgaben an den Ausführenden (in diesem Falle Friedrich II. als Flötist), das Spiel betreffend wie den Hintersinn. Der Überlieferung nach hat der König das wertvolle Geschenk nicht angerührt, erst die folgenden Generationen der Musiker und Musikwissenschaftler nahmen sich der Noten und ihrer Rätsel an. Daraus muß man durchaus nicht auf Geringschätzung Friedrichs schließen oder auf Desinteresse. Er – wie gesagt kein »Dilettant« im negativen Sinne – ahnte vielleicht nur zu gut, welche »Nuß« ihm der »alte Bach« geschickt hatte.

Zweimal wurde diese Nuß am Freitag geknackt, nachmittags und abends erfreute sich die Reihe Offenes Palais erneut ihres Zuhörerstromes, darunter viele treue Abonnenten. Neben Jan Katzschke (Cembalo) brachten Angelika Fritzsching (Traversflöte), Ulrike Titze (Violine) und Alma Stolte (Violoncello) das Musikalische Opfer gar köstlich dar! Es folgte in allen Stimmen (zwischen zwei und sechs) kunstvollen Verästelungen, denen nachzuspüren eine Freude war. Nicht nur das klangvolle Cembalo, auch die Traversflöte hat eine ganz eigene Farbe, ebenso die barocken Streichinstrumente. Sie so verlebendigt zu erleben, ließ faßt Mitleid mit Friedrich dem Großen haben – er hatte es ja nie gehört! Dabei hatte ihm sicher alles zur Verfügung gestanden, was notwendig war – neben seiner selbst Spieler wie Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Joachim Quantz, beide aus Sachsen kommend, wie auch die neuen Pianoforti aus der Werkstatt von Gottfried Silbermann – vierzehn Stück sollen am Preußischen Hof existiert haben.

Die konzentrierte Aufführung im Palais (incl. lebendiger Einführung fast zwei Stunden) erlaubte es, bewußt Grenzen zu durchbrechen – zwei der Canons führen praktisch in die Unendlichkeit: Der vierte, weil die Noten wachsen, sich das Tempo des Themas mit jeder Wiederholung verdoppelt, was den Spielfluß erst verlangsamte, bis daraus eine meditative Kraft wuchs. Die immer mehr vereinzelten Töne ließen den Canon schließlich zerfallen. Im darauffolgenden steigert sich die Höhe des Anfangstones mit jeder Wiederholung – Jan Katzschke und Ulrike Titze näherten sich sphärischen Höhen, bis ihren Instrumenten schlicht die Töne ausgingen. Die abschließenden Sonata und Canon perpetuus verschmolzen noch einmal (nach wechselnden Besetzungen nun wieder mit dem ganzen Quartett) in königlicher Pracht.

23. April 2022, Wolfram Quellmalz

Die Reihe Offenes Palais wird am 28. Juni mit »Von Bingen nach Bagdad« fortgesetzt (wieder 14:30 und 19:30 Uhr, Palais im Großen Garten Dresden). Die darauffolgenden Veranstaltungen (Sehnsucht nach Italien 1 und 2) sind für den 15. und 16. Juli geplant. Weitere Informationen unter: http://www.offenes-palais.de

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