Lisa Batiashvili und The Philadelphia Orchestra gastieren beim September-Festival im Dresdner Kulturpalast
Sie war bei weitem nicht zum ersten Mal in Dresden zu Gast. Ob mit Staatskapelle oder Philharmonie – schon oft hat Lisa Batiashvili ihren einzigartigen Ton vorgeführt, Einfühlungsgefühl bewiesen. Und doch verblüfft die Georgierin immer wieder aufs neue mit ihrem klaren, zarten, tragfähigen Klang. Selbst in feinsten Piani bricht ihr der Ton nicht weg, wird nicht nebelig undeutlich, bleibt intonatorisch sauber – großartig!
Beim zu den Dresdner Musikfestspielen gehörenden September-Festival war die Weltklassegeigerin gleich in zwei Werken zu erleben, beide nicht gerade klein, dafür aber recht selten gespielt: Ernest Chaussons »Poème« für Violine und Orchester (Opus 25) hört man vielleicht noch eher als Karol Szymanowskis erstes Konzert für Violine und Orchester (Opus 35) – beide Stücke einmal in der Gegenüberstellung zu erleben, war allein schon eine Bereicherung.

Vor allem zeigten sich Solistin und Orchester dabei von vielen Seiten. Szymanowski vereint, verschlingt und verhakt beide in seinem vielgliedrigen Werk, das in einem Satz aus vielen Teilen gespielt wird, worin sich sogleich ein impressionistisches Flirren wie bei Ravel offenbarte (Orchester), das aber schon nach kurzer Zeit in vielen Passagen immer neu durchlüftet wird. Blechbläser und Schlagwerker waren in einem differenzierten, fein austarierten Dauereinsatz, über allem aber schwebte die Violine. Lisa Batiashvili ließ sie singen, schmachten, herb klagen …
Sie wußte die Kantilenen ebenso klar und zärtlich auszuspinnen wie sich – bei aller Schlankheit im Ton – dem Orchester entgegenzustellen. Yannick Nézet-Séguin sorgte für ein symbiotisches Miteinander, scheute Konturen sowenig wie ambivalente Gegenüberstellungen, vermied aber jeden Bruch. Schon bei Szymanowski zeigte sich The Philadelphia Orchestra als ein Klangkörper, der sich ebenso in einzelnen Gruppen artikulieren, Gegensätze herausarbeiten kann, wie er in feinen Stufungen ein großes Tutti wachsen läßt, ohne daß sich der Zuhörer »erschlagen« fühlt.
Während bei Szymanowski die Moderne für viele Reflexe sorgt, bleibt Ernest Chaussons »Poème« unmißverständlich romantisch – ein Grund mehr, es differenziert zu nehmen. Yannick Nézet-Séguin und Lisa Batiashvili blieben darin konsequent, erschöpften sich nicht im schönen Klang, berauschten nicht mit »Romantik pur«, sondern mit einer hingegebenen Musikpartnerschaft. Chaussons Poème ist vor allem eines: ein Lied für Violine und Begleitung, das fein herausgearbeitet werden will! Das Orchester bereitete dazu das Abendrot …
Beim Lied blieben Solistin und Dirigent auch für die Zugabe, denn – auch das erlebt man nur zu solch besonderen Anlässen – Lisa Batiashvili und Yannick Nézet-Séguin kamen gemeinsam auf die Bühne und »sangen« gemeinsam mitten im Orchester Claude Debussys »Beau soir« in einer Fassung für Violine und Klavier, an dem der Dirigent Platz genommen hatte.
Die unwiderstehliche Sinnlichkeit, zu der Yannick Nézet-Séguin sein Orchester beflügelt, hatte schon vor der Pause begeistert. In Antonín Dvořáks siebenter Sinfonie (d-Moll / Opus 70) ließ er die Zügel nicht nur schießen, sondern blieb bei seinem Ansatz feinster Nuancierung, rhythmischer Prägung und herzlicher Verbundenheit. Allein präzise zu sein genügt nicht, es mag beeindrucken, bliebe aber kalt. The Philadelphia Orchestra gab seine Visitenkarte in Dresden mit warmen Händen ab – wer könnte eleganter schwelgen? So erfrischte auch das Scherzo, der an sich bekannteste Satz.
Die Blumen reichte Yannick Nézet-Séguin zunächst an eine Musikerin der fabelhaften Horngruppe weiter, danach gab es noch einen Ungarischen Tanz von Johannes Brahms als Zugabe – was will man mehr?
3. September 2022, Wolfram Quellmalz
Morgen schließt das Cleveland Orchestra und Franz Welser-Möst das September-Festival mit einem Richard-Strauss-Programm ab. Mehr unter http://www.musikfestspiele.com