Collegium 1704 zu Gast beim Musikfest Erzgebirge
Am Sonntag plakatierte das Musikfest Erzgebirge für die St. Annenkirche in Annaberg mit »Festkonzert« – was gab es da nur zu feiern? Einerseits den Besuch des »hochberühmten Collegium 1704«, wie Hans-Christoph Rademann das Ensemble anläßlich des Pressegespräches im März ankündigt hatte, andererseits übernahm der Intendant des Musikfestes Erzgebirge und Chefdirigent des Dresdner Kammerchores diesmal selbst die Leitung. Nicht zum ersten Mal übrigens – auch im Rahmen des Zyklus »Musikbrücke Prag – Dresden« hatte Hans-Christoph Rademann bereits das Collegium angeführt. Diesmal standen zwei außergewöhnliche Werke auf dem Programm der Prager Musiker und Sänger: Johann Sebastian Bachs Trauerode »Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl« (BWV 198), die sozusagen eine Kernkompetenz Hans-Christoph Rademanns berührte, sowie ein Requiem (ZWV 46) von Jan Dismas Zelenka, der als quasi Hausheiliger des Collegiums gilt, denn das 1704 im Namen bezieht sich auf die Jahreszahl der ersten Erwähnung des böhmischen Bassisten und Komponisten.
Zwei Werke des Gedenkens, welche der sächsischen Kurfürstin Christiane Eberhardine (Bach) und ihrem Gatten, dem Sächsischen Kurfürsten und Polnischen König Friedrich August galten. Während Bachs Ode mit einem deutschen Text von Johann Christoph Gottsched versehen ist und sich weltlich gewandet an die Zuhörer richtet, folgt Zelenkas Requiem auf Latein dem kirchlichen Duktus und der Liturgie.

»Festkonzert« – da durfte es festlich zugehen. Schon der Beginn der Trauerode kündete nicht von Gram und Kummer, sondern von Glanz und pries die Hoheit. Musikalisch ist das Werk hochinteressant – man erkennt manche Wendung, auch wenn sich Bach dabei nicht direkt selbst parodiert hat. Anklänge und Bezüge zu eigenen Werken sind unverkennbar, vor allem Anfangs- und Schlußchor erinnern an die bekannten Passionen.
Solch imposanter Glanz will entfacht werden – das Instrumentarium mit vielen Streichern und Bläsern sorgte reichlich dafür, gerade die Flöten setzten der kurfürstlichen Überhöhung sozusagen eine musikalische Krone auf, in der Begleitung zum Coro »An dir, du Fürbild großer Frauen« gar im Duett. Doch es muß nicht immer Pracht sein – die Geschmeidigkeit der Gamben (Altarie »Wie starb die Heldin so vergnügt!«) waren Teil eines Höhepunktes, der nicht im hellen Funke[l]n, sondern im betörenden Schimmer lag. Aneta Petrasová, die auch schon im Dresdner Kammerchor sang, seit einigen Jahren aber zum Collegium Vocale 1704 gehört, ist darin unübertroffen. Sie scheute sich auch nicht, auf ein Forcieren zu verzichten – die St. Annenkirche mit ihrem großen Schiff verleitet theoretisch dazu, schließlich soll man überall etwas hören.
Das machte die Verständlichkeit allerdings manchmal schwierig, und vor allem Helena Hozovás Sopran wirkte deutlich mit Kraft gesungen und in den Spitzentönen überanstrengt.
Die ungeheure räumliche Weite der Kirche spürte man auch in Zelenkas Requiem. Gerade der Introitus und das abschließende Tutti klang im Orchester beinahe gedämpft, was schlicht an der Entfernung lag. Vielleicht war auch hier das Auslassen eines Forcierens aber gerade richtig, im Gegenteil schien dieses »Strahlen aus der Ferne« zuweilen besonders innig. Großartig waren die beiden Bässe Tomáš Šelc und Tadeáš Hoza, die in der Sequentia in ein herrliches Duett fanden. Hans-Christoph Rademann war nicht allein auf solche Höhepunkte oder andere Affekte bedacht, er sorgte vor allem für einen musikalischen Fluß. Damit hielt er einerseits die Spannung, gewann aber vor allem aus der Wechselwirkung von Soli (Pavla Radostová / Sopran und Tobias Hunger / Tenor) und Chor statt eines Höhepunktes ein über mehrere Verse anhaltendes Plateau des Hochgenusses. Nicht vergessen werden sollen die wunderbaren a-cappella-Einschübe der überlieferten Gregorianik, welche – beim Collegium schon fast traditionell – Hasan El-Dunia leitete.
Nach so viel Festglanz gab es zunächst eine andächtige Ruhepause, bevor der Applaus einsetzte.
12. September 2022, Wolfram Quellmalz