Herzschlag in lichter, luftiger Weite

Augustin Hadelich kehrte am Wochenende zur Dresdner Philharmonie zurück

Der deutsch-amerikanische Geiger Augustin Hadelich ist in Dresden bei Orchester wie Publikum scheinbar gleichermaßen beliebt. Immer wieder wird er seit seinem Auftritt 2017, damals auf der Interims-Spielstätte des Schauspielhauses (Dirigent: Juanjo Mena), eingeladen. Damals spielte er das zweite Violinkonzert von Béla Bartók und servierte einen romantischen Bach als Zugabe. Fast schien es »unzeitgemäß«, diese Interpretation des jungen Violinisten, schließlich gehörte die »romantische« Bachauffassung doch der Generation seiner Eltern oder Großeltern an. Allerdings steht er damit nicht allein – viele Solisten setzen sich heute mit der Klangästhetik in den Interpretationen früherer Generationen auseinander, fördern dabei aber etwas Neues zutage. Auch David Fray, ebenfalls bereits mehrfacher Philharmonie-Gast, ist ein Beispiel dafür.

Bartók stand am Wochenende im Dresdner Kulturpalast wieder im Programm, allerdings erst nach der Pause. Augustin Hadelich hatte diesmal einen anderen Klassiker dabei: Jean Sibelius‘ Violinkonzert. Und das atmete in seiner Interpretation eine große Weite und Freiheit – einen Ansatz, dem Dirigent Kerem Hasan bereitwillig folgte. Sibelius‘ Konzert beginnt nicht wie andere mit einer klassischen Orchestereinleitung oder einem effektvollen Auftakt, es scheint eingeschwebt zu kommen, luzide und ephemer kristallisieren sich nach und nach Figuren heraus. Augustin Hadelich ließ ihnen eine große Transparenz, setzte mehr auf den Schimmer milchiger Lichteffekte und weiche Konturen denn auf einen kernigen Klang. Und gestaltete eine nordische Landschaft, die gleichermaßen unüberschaubar schien, aber viele Details bot, als lösten sich diese plötzlich aus einem umgebenden Nebel.

Bemerkenswert war die Sorgfalt oder Sorgsamkeit, mit der Solist und Dirigent agierten. Denn der Gefahr, sich in diesem »Nebel« zu verlieren, entgingen sie nicht nur, sie sorgten für reizvolle Dialoge, wiewohl diese – wegen der Bekanntheit des Konzerts – an sich nicht überraschen. Sibelius‘ Reiz liegt, vor allem in den ersten beiden Sätzen, in den Nuancen und Schattierungen, kleinen Spiegelungen, wie dem Echo der Viola (Christina Biwank), welche auf die Violine antworte, die der Komponist weniger in jubilierender Höhe als mit herbem Charme hervortreten läßt.

Wenn Sibelius‘ Violinkonzert nicht durch äußerliches »Feuer« getragen wird, so braucht es doch einen inneren Puls – und bekam ihn auch. Die Dresdner Philharmonie gab dem mit der Horngruppe einen Rahmen klangvoller Weite und sorgte im zweiten Satz für bezaubernde Dämmerungsmomente.

Augustin Hadelich geht gern eigene Wege, wieder in der Zugabe, in der sich Tango und Wiener Caféhaus zu treffen schienen: »Por una Cabeza«, ein eigenes Arrangement des Solisten.

Folkloristische Farbigkeit konnte man bei Jean Sibelius spätestens im dritten Satz finden. Nach der Pause fügte Kerem Hasan dem noch das Temperament des Balkan hinzu: Zoltán Kodálys »Tänze aus Galanta« und Béla Bartóks Konzertsuite »Der holzgeschnitzte Prinz«. Dabei präsentierte das Orchester nicht nur großartige Hell-Dunkel-Effekte, Kerem Hasan schöpfte auch aus der reich dargebotenen Palette, vom süffigen Klang der Cellogruppe über den Reichtum der Holzbläser mit vielen Flötensoli (incl. Piccolo) und immer wieder virtuos auftrumpfender Klarinette (Fabian Dir). Nach den eher rhapsodischen Tänzen verriet Bartók manche »interkulturelle« Anleihe bei Richard Wagner – ein Farbenrausch, aus dem Harfen und Celesta funkelten!

4. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz

Neueste Einspielung von Augustin Hadelich (Violine): »Recueredos«, mit dem zweiten Violinkonzert von Serge Prokofjew, Pablo de Sarasates Carmen-Fantasie, dem Violinkonzert von Benjamin Britten sowie »Recuerdos de la Alhambra« von Francisco Tárrega / Ruggero Ricci, WDR SinfonieorchesterKöln, Cristian Măcelaru (Dirigent)

Am kommenden Wochenende steht Gustav Mahlers dritte Sinfonie auf dem Programm der Dresdner Philharmonie (Leitung: Sir Donald Runnicles). Mitwirkende: Annika Schlicht (Mezzosopran), MDR-Rundfunkchor, Philharmonischer Kinderchor Dresden

http://www.dresdnerphilharmonie.de

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