Kreuzchorvesper am Altjahresabend im Lichterschein
Am Silvestertag feierte der Dresdner Kreuzchor den Altjahresabend und blickte auf das neue Jahr voraus. Traditionell steht dann die vierte Kantate aus Johann Sebastians Bachs Weihnachtsoratorium auf dem Programm. Kompakt im Zentrum der Andacht wurde sie von Musik umrahmt, die nicht nur Abschluß oder Neuanfang im Sinn hatte, sondern ebenso Fortführung – schließlich steht der Jahreswechsel bzw. der Neujahrstag auch für Kontinuität. Kreuzorganist Holger Gehring begleitete den Einzug bereits mit pastoral-weihnachtlichen Klängen an der großen Jehmlich-Orgel und erinnerte mit dem Flötenregister an die Piffari, welche spätestens seit dem Barock die weihnachtlichen Konzerte bereichern.

Der Komponist Wilfried Krätzschmar, Photo: HfM Dresden, © Jenny Wiese
Wie mit dem Schuljahresbeginn eingeführt, begann der Kreuzchor die Vesper mit einem neuen Introitus von Wilfried Krätzschmar, diesmal natürlich für den Altjahresabend. Mit dem Wechsel von Stimmen bzw. Chörigkeit setzte der Komponist erneut Betonungen, fokussierte, nutzte »auf kleinem Raum« sozusagen eine große Spannweite und sorgte für Achtungszeichen. Die Fragilität und Vielfalt unserer Zeit (beides ist miteinander verbunden) steigerte sich in einer harmonisch hervorgehobenen »Ewigkeit«, worauf das »Amen« einen zuversichtlichen Schlußpunkt setzte. Mit den Mitteln seiner Zeit hatte ebenso Johann Hermann Schein in »Unser Leben währet siebnzig Jahr« eine Verbindung von (Lebens)ziel, Hoffnung und Unsicherheit geschaffen. Hier schien die Zuversicht a cappella ganz klar zu wachsen.
»Fallt mit Danken, fallt mit Loben« (Weihnachtsoratorium BWV 248 / 4, Kreuzchor in Begleitung der Sinfonietta Dresden) stimmte danach auf den Neujahrstag ein, noch einmal waren Hoffnung, Unsicherheit und Zuversicht (oder Glauben) untrennbar verbunden. Stephan Scherpe (Tenor) hatte den Evangelisten und die feurig vorgetragene Arie »Ich will nur dir zu Ehren leben« übernommen, Heidi Maria Taubert (Sopran) und Clemens Heidrich (Baß) fanden im Duett von Rezitativ (Heidrich) und Choral (Sopransolo) eindrucksvoll zusammen – im Funkeln des Gesamtwerkes wurde hier ein inneres Licht spürbar. So wie schon zu Beginn im Eingangschor – das »Fallt« war weich umschlossen, ein sich in Vertrauen Hingeben, kein Sturz oder harter Aufprall. Nicht wenige Besucher dürften aber wohl wegen einer der schönsten Arien des Weihnachtsoratoriums (oder der Weihnachtsmusik überhaupt) gekommen sein, der »Echo-Arie« bei der Kruzianer Fabian Anwand von hinten das Echo sang – so klar und zuversichtlich würde man sich manchen Widerhall im Leben wünschen!
Dieses Echo und den darüberliegenden Text von Beginnen (auch dranbleiben) griff Pfarrer Holger Milkau in seinem Geistlichen Wort auf. Die immanente Sorge, die mit den vielen Jahresrückblicken noch drückender wird (»Wie soll das alles wieder gut werden?«), dürfe uns nicht davon abbringen, den Neuanfang zu versuchen. Änderung sei möglich und erfordere Mut.
Mit einem modernen Magnificat von Simon Wawer erschloß der Kreuzchor erneut a cappella andere Klangräume, bevor Dieterich Buxtehudes Choralfantasie »Gelobet seist du, Jesu Christ« (BuxWV 188) für Orgel und Max Regers »Das alte Jahr vergangen ist« mit dem Kreuzchor den Altjahresabend noch einmal faßten. Für musikalische Zuversicht sorgte nicht nur der Zimbelstern, sondern auch das »Dresdner Amen« (Satz: Johann Gottlieb Naumann), bevor Johann Sebastian Bachs Dona nobis pacem (aus der Messe in h-Moll BWV 232) einen innig-schönen Wunsch und Ausblick formulierte.
1. Januar 2023, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend erklingen die Kantaten vier bis sechs des Weihnachtsoratoriums mit dem Dresdner Kreuzchor und Musikern der Dresdner Philharmonie. Solisten: Marie-Sophie Pollak (Sopran), Elvira Bill (Alt), Georg Poplutz (Tenor), Andreas Wolf (Baß), Leitung: Kreuzkantor Martin Lehmann