Passion mit Mendelssohn

Kreuzchorvesper zu Reminiszere

Noch fünf Wochen bis Ostern. Die Texte der Vesper in der Dresdner Kreuzkirche am Sonnabend beleuchteten Lebenswege und Passion auf unterschiedliche Weise, doch nicht Gegensätze und Kontrast standen im Mittelpunkt, sondern eine Vielfalt der Möglichkeiten (oder Wege), ein Leben zu leben bzw. es wahrzunehmen.

Für den Sonntag Reminiszere hatte Wilfried Krätzschmar erneut einen Introitus (Uraufführung: »Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte«, aus Psalm 25) geschrieben. Schon hier fanden innerer Dialog, die Stimme des Individuums und jene der Gruppe bzw. Gesellschaft einen reflektierten Niederschlag. Kreuzkantor Martin Lehmann sorgte im Gegenüber von Kurrende (bzw. Altarchor) und großem Chor von Beginn für eine Fokussierung. Mit dem Glaubensbekenntnis der Schlußzeilen (»Ehre sei dem Vater …«) führte dies zu einem Moment des Innehaltens, der Stille und Zurücknahme, aber ohne Verzagtheit.

Felix Mendelssohn, Portrait von James Warren Childe (Ausschnitt), Bildquelle: Wikimedia commons

Mit drei Motetten stand ein Komponist besonders im Mittelpunkt: Felix Mendelssohn. In »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (Nr. 3 aus den Drei Psalmen Opus 78) mit ihrem Wechsel zwischen Soli und Chor blieb ein Innehalten immanent, das von der dunklen Tiefe (»Todes Staub«) zu einem hellem Gipfel aufbrach. Der Kreuzchor zeigte in seiner Vielfältigkeit und Wandelbarkeit eine sehr persönliche (wenn man das für einen so großen Chor zusammenfassend sagen mag) Deutung des hoch romantischen Chorgesang. Später schlossen sich das geradezu polyphon glitzernde »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren« (Nr. 1 aus Opus 69) sowie »Richte mich, Gott« (Nr. 2 Opus 78) an, das erneut einem Wechselgesang (jetzt zwischen Knaben- und Männerstimmen) entsprach.

Die Lebenswege bzw. den Lebensbaum (auch Gemeindegesang aus EG 96 »Du schöner Lebensbaum«) der Thuja und seine symbolische Darstellung und Deutung hatte Pfarrer Holger Milkau ins Zentrum seines Wortes zum Sonntag gestellt.

Vom Weg der Passion sprachen aber ebenso Max Regers Agnus Dei aus den Acht geistlichen Gesängen Opus 138, der einmal mehr zeigte, wie Reger aus knappem Text oder schlichtem Lied chromatisch und harmonisch einen Hochgenuß bereiten kann! Vorausgesetzt, man beherrscht ihn – der Kreuzchor erklomm den fünfstimmigen Gipfel scheinbar mühelos.

Thomas Lennartz hatte sehr kurzfristig die Orgelbegleitung für den erkrankten Kreuzorganisten übernommen. Neben dem Einzug und dem Gemeindegesang hatte er sich für Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge e-Moll (BWV 548) entschieden – das Werk scheint in manchem Toccata und Fuge BWV 565 zu spiegeln und sorgte für eine Ergänzung, aber auch musikalische Aufhellung zu den übrigen Texten.

Immer wieder – nicht nur regelmäßig, sondern beinahe zu jeder Vesper – stehen zeitgenössische Werke im Programm des Kreuzchores. Nach zuletzt eigenen Beiträgen von Kruzianern erklang diesmal Simon Wawers Magnificat. Ganz anders, und dennoch ähnlich wie Wilfried Krätzschmar zu Beginn, konzentriert Wawer mitunter den Klang (bzw. das Licht) auf einzelnen Worten, die eine Wendung bedeuten, eine Richtung anzeigen (in diesem Fall »Qui fecit mihi magna« / Denn er hat große Dinge an mir getan). In drei Abschnitten (das eigentliche Magnificat, die Barmherzigkeit, der Diener Israel / Glaubensbekenntnis) folgt die Musik der »Wanderschaft« des Textes, was der Komponist eindrucksvoll in den Tonarten gestaltet (wieder ein »ganz anders, aber ähnlich«, nun im Vergleich mit Reger).

Sigfrid Karg-Elert war am Mittwoch schon im Konzert des Dresdner Orgelzyklus bedacht worden. Nun gab ein Schüler Karg-Elerts, Wilhelm Weismann, Gelegenheit, erneut eine andere Facette des Kreuzchores zu erleben: Kruzianer als Solisten. »Herr, lehre mich« (Geistliches Konzert für zwei Singstimmen und Orgel) wurde von Friedrich Schöne (Tenor) und Gustav Schade (Baß, Orgelbegleitung: Angela Brandt) vorgetragen. Vor dem Gemeindegesang und von den zwei der Motetten Felix Mendelssohns umfaßt, schloß der Liedgesang (aus Psalm 39) thematisch und musikalisch an die übrigen Texte, aber auch an der eigenen Tradition an.

5. März 2023, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Sonnabend gestaltet der Landesjugendchor Sachsen die Kreuzvesper. Liturg: Superintendent Christian Behr.

http://www.kreuzkirche-dresden.de

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