Zum Auftakt ein Rosenkavalier

An der Semperoper Dresden beginnen demnächst die Richard-Strauss-Tage

Kaum eine Verbindung zwischen einem Orchester und einem Komponisten dürfte inniger gewesen sein als die zwischen der Sächsischen Staatskapelle (früher Königlich-sächsische musikalische Kapelle) und Richard Strauss. Allenfalls in den Anfangsjahren des Orchesters, das 2024 sein immerhin (ununterbrochen) 475-jähriges Bestehen feiern wird, gab es ähnlich enge Verknüpfungen. Damals freilich waren die (Hof)Kapellmeister und Kirchencompositeure vertraglich an das Ensemble (bzw. den Hof) gebunden und hatten mannigfaltige Dienstpflichten – Richard Strauss‘ Wahl dagegen fiel frei aus. Er bevorzugte das Dresdner Orchester nicht nur, er schrieb ihm neun seiner fünfzehn Opern auf den Leib, dazu manches andere Werk wie die »Alpensinfonie«.

Turbulenzen: Vater Faninal (links: Markus Eiche) denkt um, für Baron Ochs auf Lerchenau (Peter Rose)wird’s eng, außerdem: Tilmann Rönnebeck (Ein Polizeikommissar), Tom Martinsen (Ein Wirt), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Photo (Besetzung der Wiederaufnahme 2016): Sächsische Staatsoper, © Klaus Gigga

Auf diese – »Alpensinfonie« – dürfen sich Musikfreunde schon jetzt freuen, denn sie wird, wie der eben veröffentlichte Konzertplan preisgab, die kommende Spielzeit beginnen. Es wird die letzte des Chefdirigenten Christian Thielemann sein. Er war auch Dreh- und Angelpunkt der Richard-Strauss-Tage, die das Haus ab dem kommenden Sonnabend feiert. Zwischen 2. bis 16. April stehen neben den wohl wichtigsten Opern »Der Rosenkavalier« und »Arabella« eine Liedmatinée, zwei Sinfoniekonzerte und noch mehr auf dem Programm. Doch Christian Thielemann mußte krankheitsbedingt kurz vor Beginn absagen. Wer weiß, wie wichtig dem Maestro gerade die Strauss-Werke sind, wird kaum vermuten, daß sich hinter der Absage eine Ausrede oder »Revanche« verbirgt. Aus Musikerkreisen hört man bestätigt, Thielemann sei wirklich erkrankt.

Das ist nicht nur schade, sondern ärgerlich, denn die Eintrittspreise sind nicht eben klein. Allerdings sind die Besetzungen generell hochwertig, aber der Faktor Thielemann wog sicher am schwersten. Nun mußte Ersatz gefunden werden – David Afkham übernahm »Arabella«, Tugan Sokhiev, der zum Edeleinspringer der Staatskapelle avanciert, wird zum Abschluß der Richard-Strauss-Tage das 9. Sinfoniekonzert dirigieren, für den »Rosenkavalier« hatte man den Stuttgarter GMD Cornelius Meister gefunden. Ein paar Vorstellungen (incl. »Ariadne auf Naxos«) hatte es bereits als Prélude der Strauss-Tage gegeben. Vergangenen Sonnabend leitete Cornelius Meister den ersten »Rosenkavalier« der aktuellen Serie.

STÜCK UND INSZENIERUNG

Die Geschichte bzw. die Tradition ist fast zu gut, um erfunden zu sein: ein gestandener Baron gibt der Anwandlung nach, sich zu verheiraten. Die Braut ist blutjung, nicht einmal halb so alt wie er, und soll durch einen Boten – den Rosenkavalier – angeworben werden. Daß der (Octavian) – etwa im gleichen Alter wie Sophie – sich in die Braut verliebt und sie in ihn, daß sich Sophie sträubt und ein großes Tohuwabohu entsteht, als die beiden jungen Leute sich gegen die »altehrwürdige Tradition« auflehnen, ist nur zu verständlich. Wie gut, daß da noch die Marschallin ist – die bisherige Geliebte Octavians, die ihren »Buben« eben aus seinen »Liebesdiensten« entließ (weise entschieden: eine Trennung, bevor Überdruß oder der doch spürbare Altersunterschied der Sache die Aufregung und Freude nehmen), schaltet sich, als höhere Instanz sozusagen, an entscheidender Stelle ein. Wer weiß – vielleicht wäre sie (mit Mitte Dreißig noch nicht einmal eine »mittelalte« Frau) nicht die passende Partie für den Ochs auf Lerchenau?

Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung aus dem Jahr 2000 ist nicht mehr ganz taufrisch und war vielleicht damals schon mehr als retrospektiv. Daß sie geradezu geliebt wird, liegt vor allem an ihren beeindruckenden, stimmigen Dekorationen (Bühnenbild: Christoph Schubiger, Kostüme: Jessica Karge). Allein für »schön war’s doch« genügt das jedoch nicht, dafür ist der »Rosenkavalier« mit gut vier Stunden auch zu lang. Ein Drama muß schon sein!

DIE AUFFÜHRUNG

Und da blieb die erste von insgesamt drei Aufführungen doch manches schuldig. Zumindest vermißte man vieles – Sinnlichkeit vor allem, oder mit anderen Worten: Christian Thielemann. Denn daß Cornelius Meister einen eher »zackigen«, zupackenden Stil bevorzugt, mag grundsätzlich Geschmacksache sein, auch zeigte er durchaus Differenzierungsvermögen, nur wirkte sich das kaum (mehr) aus. Denn gleich den Beginn jedes Aktes, vor allem des ersten und dritten, ließ Meister ungezügelt schießen, ja poltern! Statt eines aufweckenden Hornrufes stürmte und tobte das Orchester los, daß die Sänger teils Mühe hatten, dies zu übertönen. Zusammen mit einem ungewöhnlich viel tuschelnden Publikum nahm das die Grundruhe, die es bei aller Musik (ohne die »schweigsame Frau« zitieren zu müssen) doch braucht. In der Wahl seiner Tempi folgte Cornelius Meister konsequent einem vorantreibenden Gestus – das mag (für ihn) in der Aufregung und Spannung der Geschichte begründet liegen, indes wirkte es immer wieder zu eilig. Und natürlich wog dies besonders schwer, weil die (hohe) Erwartung ja eine andere gewesen ist.

Schwiegersohn und Schwiegervater in spé? Herr von Faninal (Markus Eiche) und Baron Ochs auf Lerchenau (Peter Rose), Photo (Besetzung der Wiederaufnahme 2012): Sächsische Staatsoper, © Klaus Gigga

Doch auch die Sänger konnten nicht alle überzeugen, trotz so edler Besetzungen wie Pavol Breslik (in der Rolle des Sängers) und dem szenisch pointiert agierenden Jürgen Müller (vom Semperopern-Ensemble als Haushofmeister). Wiewohl die Freude, daß Sophie Koch nach wie vor »ihren Octavian« beherrscht, verständlich ist – die jugendliche, ein wenig jungenhafte Rolle paßt ihr nun doch nicht mehr. Es fehlt weder an Farbe noch an Stimmlichkeit, aber an Authentizität. Kaum weniger läßt sich über die Feldmarschallin Camilla Nylund »meckern«, doch gilt hier ebenso: für die noch junge Frau war sie schlicht zu viel »Grand Dame«. Als solche glaubhaft – doch ist eine »Grand Dame« verführerisch für einen Siebzehnjährigen?

Die größte Enttäuschung bot der Ochs Peter Roses: Klar ist der Baron (wie sein Gefolge) poltrig, etwas grob und benimmt sich daneben, doch ihn als plumpen Tölpel darzustellen, tut ihm unrecht und ist – mit Verlaub – nicht mehr zeitgemäß. Wir sind es gewohnt, gerade auf der Bühne aktuelle Themen entweder provokant präsentiert (leider selten differenziert) oder die neuen Rollenbilder eingefügt zu bekommen, doch hier erwies sich der Ochs in der nicht mehr ganz neuen Inszenierung als altbacken. Wo bleibt der Charme des Barons, sein Witz (fad!), seine Würde? Ein rechter »Hallodri« ist er schon, aber doch kein so eindimensionaler!

Da mag man lieber über Nikola Hillebrands Sophie diskutieren. Die Sopranistin, ebenfalls Ensemblemitglied des Hauses, ist sonst oft in »führenden« Rollen besetzt, also nicht nur in Hauptrollen, sondern als Königin der Nacht oder Poppea (Monteverdi). Sie kann mit Koloraturen glitzern, funkeln und brillieren. Für Sophie schien dieses Glitzern (in der Übertragung natürlich, es ist ja keine Koloraturpartie) ein wenig zu hell. Doch ob es »mädchenhafter« klingen müßte (nein, muß es nicht), kann man getrost einmal beiseite lassen. Nikola Hillebrand ist jung genug und erprobt sich nicht zuletzt im Lied – den Raum zur Rollenentwicklung darf man ihr also gönnen, zumal sie zu den erfreulichen Erscheinungen zählte. Merke: Zu viele Erwartungen (auch berechtigte) können ein Erlebnis schmälern, eine Entdeckung hindern.

Ohne jede Schmälerung oder Trübung war Herr von Faninal. Markus Eiche gab ihm, was dem Ochs fehlte: Würde zum Beispiel, aber auch eine »standfeste Wankelmütigkeit«: Einerseits nicht nur dem Namen, sondern der Reputation desselben gehorchend, will Herr von Faninal selbstredend der Tradition folgen – eine Verheiratung Sophies ist ein wichtiger Baustein dafür. Doch das »Erwachen«, die Wandlung oder Rückbesinnung des Vaters, fiel glaubwürdig aus, ohne übertrieben oder wie ein ironischer Kommentar zu wirken – ganz anders als das (wenige) Wienerische im Text des Barons.

Das Potential scheint also noch nicht ausgeschöpft, und auf Thielemanns Strauss müssen wir wohl bis zum September warten. Immerhin: Im nächsten Jahr steht dann »Die Frau ohne Schatten« mit ihm auf dem Programm der Richard-Strauss-Tage.

28. März 2023, Wolfram Quellmalz

http://www.semperoper.de/richard-strauss-tage.html

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