Konzert mit Werken der Capell-Compositrice bei den 31. Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik in Hellerau
Seit (Wieder)einführung des Capell-Compositeurs bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden gibt es Portraitabende, zu denen man in der Regel den Komponisten begegnen kann, vertiefte Einblicke in sein Schaffen erhält. Dort oder an einem der anderen Abende, in deren Rahmen zumindest ein Werk des Capell-Compositeurs erklingt, darf man zudem mit einer Uraufführung, möglichst einem Auftragswerk, rechnen. Der Ertrag von Olga Neuwirths Residenz fällt bisher eher spärlich aus.

Festspielhaus Hellerau, Bildquelle: Wikipedia commons
Zur Neuauflage des Portraitabends am Mittwoch im Festspielhaus Hellerau (gleichzeitig Auftakt der 31. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik) gab es immerhin fünf Stücke der aktuellen Compositrice, doch wieder war sie selbst nicht anwesend. Statt eines Gespräches mit ihr gab es nur eine knappe Ankündigung des Konzertdramaturgen mit dem Verweis auf den im letzten Jahr erhaltenen Ernst von Siemens Musikpreis. Mehr als name dropping war das kaum. Die vorgestellten Werke – wiewohl im einzelnen interessant und bereichernd – entsprachen keinem vollständigen Bild (im Sinne eines »Portraits«), nur einer kleinen Annährung. Dabei war das Programm durchaus auf das Schaffen der Komponistin ausgerichtet, nicht willkürlich zusammengestellt, sondern inclusive der eingefügten klassischen bzw. historischen Werke mit ihr gemeinsam oder zumindest in Rücksprache »komponiert«. Insgesamt dreimal setzten Paige Kearl und Yuna Toki (Violinen), Marcello Enna (Viola) und Teresa Beldi (Violoncello) mit Sätzen aus Streichquartetten von Claude Debussy und Johannes Brahms ein Schlaglicht. Doch offenbarte gerade dies, wieviel mehr Raum und Farbe schon im ersten Bogenstrich (Violoncello) von Debussys Très moderne steckt als in den zuvor gehörten »…ad auras… in memoriam H.« von Olga Neuwirth. Die mikrotonalen Verschiebungen der beiden Violinen (Anselm Telle und Yuna Toki) dort kreisten inclusive ihrer Ausbrüche auf kleinstem Raum. Analytisch ließ sich das verfolgen, doch die daraus folgende Schwebung war sinnlich kaum zu erfahren. »Magic Flu-idity« für Flöte und Schreibmaschine (Sabine Kittel und Simon Etzold) schien ebenso ein Maß zu fehlen: Zu Beginn entwickelte das Stück einen spürbaren Witz, etwa, als sänge ein Vogel gegen das Gehämmer eines die Maschine traktierenden Dichters an. Doch viel zu lang in der Dauer verlor es nach und nach an Frische, wirkte schließlich eher albern.
Olga Neuwirth hat eine Vorliebe für ungewöhnliche Besetzungen. Immerhin einmal an diesem Abend erklang ein relativ klassisch besetztes Stück, ein Quartett für Flöte (Andreas Kißling), Klavier (Alexander Bülow), Viola (Marcello Enna) und Violoncello (Teresa Beldi). »Marsyas« II greift den Wettstreit zwischen Apoll und Marsyas (den letzterer verlor) auf. Das virtuose Werk darf als an diesem Abend herausragend gelten, entwickelte mit dialogischen sowie Unisono- und individuellen Passagen am stärksten eine eigene Sprache und Überzeugungskraft. Diesmal fiel der Gegensatz zum folgenden, fein dargebotenem Allegro non troppo von Johannes Brahms (aus Opus 2 Nr. 2) nicht so groß aus.

Olga Neuwirth, Photo: © Rui Camilo
Dennoch blieb ein Gefühl von Mangel und Lieblosigkeit, kaum mehr als ein paar fremde Klänge und elektronischen Verrenkungen gehört zu haben. Warum zum Beispiel bekam man »horizontal / vertikal«, das Olga Neuwirth 2007 für den experimentellen Stummfilm »Symphonie Diagonale« (1924) von Viking Eggeling schrieb, nicht mit dem Film präsentiert? DAS wäre eine Bereicherung für den durchaus witzigen Maschinensound der Komponistin gewesen! (Der kurze Film ist mit Neuwirths Musik auf YouTube zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=-XivcjKFl2s)
Mit »coronAtion V: Spraying Sounds of Hope« gab es zum Schluß eine weitere Annäherung. Das klassische Blechbläserensemble war nicht nur im Raum verteilt, es wurde auch um Tröten erweitert. Als Achtungszeichen eindrucksvoll, warf es aber die Frage auf, worin dort die Hoffnung steckt, für jemanden, der sich in einer (Corona)krise befindet.
20. April 2023, Wolfram Quellmalz
Ein Werk von Olga Neuwirth (»Masaot / Clocks without Hands«) ist noch einmal im 12. Sinfoniekonzert der Staatskapelle (Juli) zu erleben.