Ariane Matiakh bezaubert das Publikum der Dresdner Philharmonie mit Seebildern
Dirigentin Ariane Matiakh gelingt es, mit Projekten und Programmen ein eindrückliches, nachhaltiges Bild zu hinterlassen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß es ihr gelingt, ganze Themenabende stimmig in Szene zu setzen. Am Wochenende war sie mit dem Pianisten Alexander Melnikov bei der Philharmonie zu Gast im Kulturpalast. Ihr Programmtitel hier »Das Meer«.
Die einen verbinden das Meer mit Sommer, Badespaß und Idyll, die anderen fasziniert gerade die rauhe, gefährliche Seite der See. Ariane Matiakh mag zu den letzteren gehören – ihre »Bilder« enthielten mehr William Turner als Caspar David Friedrich, und das schon in Felix Mendelssohns Konzertouvertüre »Die Hebriden«. Aus dem gewohnten seidigen Wogen und eleganten Wellenspiel trat bei der Dirigentin die schroffe, »kantige« Seite des Meeres stärker hervor. Und dazu mußte Ariane Matiakh das Stück nicht einmal »gegen den Strich« bürsten – eine leichte Akzentverschiebung genügte schon, mehr Bläser, mehr Pauke, mehr Kontur. Die Gruppen der Violinen, Violen und Violoncelli formten führend daran mit, die Philharmonie folgte der Dirigentin willig in ihrem Gestaltungssinn, das Wogen ging dabei nicht verloren.
Kein »Seestück«, aber auch kein Fremdstück war das Klavierkonzert a-Moll von Robert Schumann. Mit Alexander Melnikov stand dafür ein Pianist zur Seite, der das Erkunden liebt, der sich auf Instrumente, gerne auch historische, einstellen kann. Immer mit einem Ohr beim Orchester arbeitete er die dialogischen Szenen mit Oboe (Johannes Pfeiffer) und Flöte (Kathrin Bäz) sorgsam heraus – einerseits war es dem Komponisten ein Anliegen, das Klavier nicht über dem Orchester »schweben« zu lassen, sondern es mit dem Klangkörper zu verweben, andererseits erinnerte gerade die Partnerschaft mit der Oboe an Schumanns Drei Romanzen Opus 94.
Und doch fehlte dem Stück diesmal etwas von der Brillanz. Hier und da schlichen sich kleine Unsauberkeiten ein, den feinen, fast zum Nocturne sinkenden, sehr leisen Passagen stand ein verschwimmendes Crescendo des Flügels gegenüber. Dafür nutzte Alexander Melnikov den Baß immer wieder als nicht nur markante, sondern farbintensive Stimme.
Das tollste jedoch gab es nach der Pause mit einem Meer an Musikern auf der Bühne und einem Doppel aus Benjamin Brittens Four Sea Interludes und Claude Debussys Sinfonische Skizzen »La mer« – man hätte meinen können, es seien Schwestern im Geiste. Dabei sind die Stücke in Entstehungszeit wie gedanklichem Ursprung ganz unterschiedlich.
Gerade Britten mit seinen hallenden Holzbläsern, der das Meer auch bei Dämmerung beschreibt, enthält beides: im dämmerigen Licht lassen die gischtenden Wogen schließlich nicht nach. Mit Ariane Matiakh gewannen die Zwischenspiele aus der Oper »Peter Grimes« an gerade solchen Gegensätzen, ohne dabei die Homogenität des Streicherapparates aufzugeben. Hochspannung statt pittoreskem Seestück mit großartigem Schlagwerk – dafür gab es schon vor dem Schlußstück reichlich »Bravi!«
Auch Debussy konnte man ein wenig neu hören, denn die rauhe See oder Ariane Matiakh entlockten dem musikalischen Impressionisten ungewohnt expressionistische Ausdrücke. Geheimnisvoll ließ die Philharmonie dieses Meer funkeln – der majestätische Wellenschlag blieb auch hier.
23. April 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Ariane Matiakh (Dirigentin), Ragna Schirmer (Pianistin), Staatskapelle Halle, Klavierkonzerte Opus 7 von Clara Schumann und Nr. 4 Opus 58 von Ludwig van Beethoven, erschienen bei Berlin Classics