Vorstart zu den Dresdner Musikfestspielen mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg
Donnerstag kommender Woche geht es los, dann singt und musiziert Dresden wieder, und manchmal wird es während der Dresdner Musikfestspiele (DMF) auch brummen und leuchten. Das »schwarz und weiß« des Programmtitels rückt zwar Pianisten und Werke wie Ludwig van Beethovens Sinfonien in der Klavierfassung von Franz Liszt in den Mittelpunkt, die DMF zeigen sich darüber hinaus aber vielsaitig.
Das galt schon für das Prélude-Konzert am Freitag im Kulturpalast. In Sean Shepherds »An einem klaren Tag – On a Clear Day« nach einem Gedichtzyklus von Ulla Hahn kamen vier Chöre zusammen. Unter ihnen das The Young ClassX Ensemble. Anders als die Audi Jugendchorakademie, Solisten aus dem Dresdner Kreuzchor und die Hamburger Alsterspatzen ist es in diesem Chor nicht notwendig, Noten lesen zu können – das Lernen geschieht über das Hören und Erinnern.

Sonderkonzert der Dresdner Musikfestspiele – Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Jan Vogler (Violoncello), Kent Nagano (Dirigent) und Chöre, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig
Zunächst stand jedoch die Audi Jugendchorakademie im Mittelpunkt. Zweitausendsieben gegründet, macht sie nicht nur mit hochwertigen Aufführungen auf sich aufmerksam, sondern hat sich als ein wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zum Berufschorsänger erwiesen. Ihre erlesene Qualität kam so auch im Schicksalslied für Chor und Orchester Opus 54 von Johannes Brahms zum Tragen. Verständlichkeit und Ausgeglichenheit in den Stimmen waren geradezu verblüffend!
Kent Nagano hatte das Philharmonischen Staatsorchester Hamburg dezidiert darauf ausgerichtet, den Chor zu unterstützen, in Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 8 sorgte er für eine dramaturgisch reflektierte, authentische Lesart, nahm gestalterische Mittel für Verlauf und Ausdruck als Ziel und dafür kleine Einschränkungen hinsichtlich Homogenität oder sauberer Spitzentöne in Kauf.
Während Brahms‘ Schicksalslied bzw. Friedrich Hölderlins Text zu Beginn manchem bekannt war und sich gut nachvollziehen ließ, stellte »An einem klaren Tag« die Zuhörer vor größere Herausforderungen. Zwar sind die Programmhefte der DMF etwas komfortabler als vor einem Jahr (aber Achtung – Klappprogramme rascheln mehr als solche zum Blättern!), doch fehlte leider jeglicher Hinweis zu den Werken. Der Vermittlung einer fast einstündigen Neukomposition war dies nicht förderlich, vom Mangel des Textes ganz zu schweigen. Zudem zeigte sich: das so gern strapazierte »digital« ist kein Selbstläufer. Den online verfügbaren Spaltentext auf dem Smartphone während des Konzerts zu verfolgen, ist schlicht nicht praktikabel! Hier gilt es nachzubessern, es muß ja nicht alles »schick« und »Corporate idendity« sein, ein Einlegezettel auf Ökopapier genügt vollkommen!
Denn Sean Shepherds Werk hätte es verdient. In zwei Abteilungen und zwölf Teilen folgt es dem Text, der deutsch und englisch auch Worte Walt Whitmans einschließt (ohne daß dies erklärt würde). Es bezieht sich auf das Leben mit seinen Facetten, die sich über die Jahr(hundert)e kaum ändern. Für die Strophen hat der Komponist eindrucksvolle Klangbilder gefunden, die den Solisten (Festivalleiter Jan Vogler / Violoncello) symbiotisch einbezogen. Neben einem wunderbaren Solo ohne Begleitung verschmolz er später im Orchestertutti.
Die vier Chöre bindet Sean Shepherd gleichfalls unterschiedlich ein, läßt ihn singen und sprechen. Obwohl die Verständlichkeit nach wie vor gut war, fiel es doch schwerer, dem Text zu folgen und vor allem, den Zusammenhang herzustellen. Irgendwann war man schlicht »raus«. Das mindert den musikalisch positiven Eindruck – wohlgemerkt ist es keine »Gefälligkeitsmusik« – jedoch nicht. Kent Nagano soll zu Jan Vogler gesagt haben, daß dieses Stück »bleiben« werde. Das ist gut vorstellbar. Wenn es ins Repertoire übergehen soll, muß man es also wieder spielen. Wie wäre es, die Auftragskompositionen einmal zu wiederholen?
6. Mai 2023, Wolfram Quellmalz
Sean Shepherds »An einem klaren Tag – On a Clear Day« wurde am 22. April in New York uraufgeführt und auch vor Wochenfrist in Hamburg gespielt. Das Konzert dort hat der NDR aufgezeichnet, es kann über die Audiothek von NDR Kultur nachgehört werden.
http://www.musikfestspiele.com
Konzertmitschnitt von NDR Kultur: