Saisoneröffnung der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden

Mendelssohn und andere Lyriker

Am Sonntagnachmittag begann die 13. Spielzeit der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden in der Synagoge. »Mendelssohn der Lyriker« stand diesmal im Mittelpunkt, wofür Michael Hurshell vier langsame Sätze aus den Streichersinfonien des jungen Felix – Werke eines elf- bis vierzehnjährigen Knaben! – ausgewählt hatte. Solche Herauslösung ist natürlich gewöhnungsbedürftig, da sich kein Gesamteindruck (der Sinfonie) ergeben kann, andererseits zeigten gerade die gewählten Beispiele die unterschiedliche Herangehensweise und die Ideenvielfalt des jungen Mendelssohn: zwar waren alle vier Andante, doch im Wesen vollkommen verschieden. Mit dem letzten (aus der zwölften Streichersinfonie) begann das Konzert wie versprochen lyrisch, die Celli und Kontrabässe schwiegen dabei zunächst, ein leicht melancholischer Charakter bildete sich vor allem mit ihrem Hinzutreten heraus. Doch schon das nächste Andante wirkte mit seinen verspielten Motiven und den Pizzicati gelöster – die Violoncelli jubelten bis nach oben in die Violinregion. Im dritten Beispiel (Streichersinfonie Nr. 3) erreichte Mendelssohn eine an Haydn gemahnende Heiterkeit und einen ebensolchen Duktus.

Doch Mendelssohn war nicht der einzige Lyriker an diesem Abend, denn auch Ernest Blochs Concerto Grosso Nr. 2 kann man (zumindest am Beginn) diesen Charakter zuordnen. Die Konzertmeistervioline (Dalia Richter) durfte sich dabei noch ein wenig mehr über die anderen Solisten (Jan-Paul Kussmaul / Violine, Daniel Jaszniszki / Viola, Benjamin Arnold / Violoncello) erheben. Der »alte Stil« des Concerto Grosso wurde nicht zuletzt im lebhaften Mittelteil modern angereichert – ein interessanter Zeitensprung, zu dem Bloch hier ansetzte.

Dabei war es erneut bewundernswert, wie das Orchester, das ja kein permanentes ist und sich nicht nur immer neu finden muß, sondern oft auch neue Mitglieder hat, in Einzelpositionen wechselt, schnell zu einem harmonischen Klangkörper wächst. Darüber zu verfügen gestattet es Michael Hurshell natürlich, mehr Farbe, mehr Klang, mehr Expressivität hervorzulocken, ohne dabei zarte Töne oder einen bedächtigen Hintergrund einzubüßen – »expressiv« ist weit mehr als nur »lauter«! Dies zeigte deutlich Moishe (Mieczysław) Weinbergs Trio für Streicher, ein Werk, das die Zeit und die musikalische Nähe zu Dmitri Schostakowitsch manchem Zuhörer in seiner Rhythmik verraten mag, und dennoch von individueller Ausdruckskraft ist. Das Andante (ein ganz anderes als bei Mendelssohn!) gibt nicht die Tragik des Lebens preis oder persönliche Ängste des Komponisten, sondern ist um einen Ruhekern herum gestaltet, aus dem sich schließlich ein Moderato assai impulsiv erhebt – und noch hier blieb Raum für lyrische Empfindungen in Violine und Cello.

Nach dieser Menge und Vielfalt bot die Zugabe noch eine ganz andere Ergänzung: Franz Schrekers Scherzo für Streichorchester.

9. September 2019, Wolfram Quellmalz

Nächstes Konzert der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden: 17. November, 14:00 Uhr (Achtung, andere Uhrzeit!), Synagoge. Dann erklingt unter anderem das erste Quartett von Alexander Zemlinsky.

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