»Paulus« als innere Einkehr und Mahnung

Gedenkkonzert mit dem Kreuzchor

In jedem Jahr erinnern Dresdner Institutionen um den 13. Februar an die Zerstörung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges. Dabei kann sich durchaus ein Zwiespalt zwischen dem Gedenken und den gepflegten Traditionen bzw. des Dresden-Mythos‘ ergeben – worauf richtet sich unser Fokus?

Der Kreuzchor verlegte sein Konzert zum Jahrestag diesmal vom üblichen Termin, dem frühen Abend des 13. Februar, auf die Vesperzeit des vorangehenden Sonnabends. In der bis in die erste Empore besetzten Kreuzkirche fand sich bald die Stille, aus der Rudolf Mauersbergers 1945 angesichts der zerstörten Stadt verfaßten Motette »Wie liegt die Stadt so wüst« erhob. Durch die Betonung gerade in den Männerstimmen erfuhr das »Warum?« eine besondere Dringlichkeit, die kurz darauf mit dem Glockenläuten einen mahnenden Ruhe- und Gedankenpunkt fand.

Doch spätestens mit der Ouvertüre von Felix Mendelssohns »Paulus« brach die Musik den oben geschilderten Zwiespalt auf, denn das Oratorium setzt schon zu Beginn mit dem Zitat des »Wachet auf«-Chorals ein Zeichen, bindet den Zuhörer hier und jetzt ein. Frappierend, wie unterschiedlich das »Herr« anrufen kann: während es in den von Rudolf Mauersberger für sein Requiem ausgewählten Texten aus den Klageliedern Jeremiae noch mit »siehe mein Elend« auf den Klagenden weist, bedeutet es bei Mendelssohn nichts weniger als hoffnungsvolle Gotteszuversicht.

Der Kreuzchor hatte das Oratorium bewußt für den Anlaß ausgewählt: Mendelssohn, der später verfemte Komponist, hatte sich intensiv mit der Paulusfigur und der Frage um Juden- und Christentum auseinandergesetzt.

Wie schon im Januar mit dem Weihnachtsoratorium gelang Roderich Kreile eine spannende, zupackende, vermittelnde Sicht auf das Werk, das Wagners Wort, an das Kreuzkirchenpfarrer Holger Milkau in seinem Programmhefttext erinnerte (Mendelssohn hätte nie vermocht, eine tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung hervorzubringen), klar widerlegte. Gerade darin, wie Mendelssohn zu berühren vermag, begeisterte er besonders. Ob in der Schlichtheit andächtiger Choräle oder mit dem Chor »Mache dich auf, werde Licht!«, der zur Lichtfuge wuchs.

Unter den Solisten fiel besonders Bernhard Berchtold (Tenor) auf, der den Märtyrer Stephanus missionarisch eifern ließ, immer emphatisch blieb, über eine evangelistentaugliche Erzählerdiktion incl. Pausensetzung verfügte und nach der Wendung der Paulusgeschichte mit lyrischen Qualitäten aufwarten konnte. Hinsichtlich Gesanglichkeit, Emphase und hervorragender Verständlichkeit stand ihm Baß Thomas E. Maurer nicht nach, auch bezauberte er mit runden Vokalfärbungen. Rebecca Martin (Alt) und Heidi Elisabeth Meier (Sopran) vervollständigten das Solistenquartett, wobei vor allem letztere mit tragfähigen Lyrismen gerade die Erzähltexte belebte.

Belebung, Licht und Farbe erfuhr »Paulus« ganz außerordentlich durch die Musiker der Sächsischen Staatskapelle und den Kreuzorganisten Holger Gehring. Zwar verhältnismäßig klein besetzt, blieb das Orchester den Gesangsstimmen untergeordnet, sorgte aber immer wieder für Betonung und Aha-Momente, nicht nur wenn Fagott, Violoncello oder Blechbläser in Begleitung oder Solo eine Stimmung ausdeuteten oder wenn sich die »unerforschlichen Wege« in den Violinen spiegelten. Holger Gehring nutzte die große Jehmlich-Orgel nicht als schlichtes Continuo-Instrument, sondern verwob sie romantisch und sinfonisch mit dem Orchesterklang.

9. Februar 2020, Wolfram Quellmalz

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