Collegium 1704 kehrt in Prag ins Konzertleben zurück
Glücklicher Moment: das erste Konzert des Collegiums 1704 nach der Pause, Photo: Collegium 1704, © Tokpa
Am 6. Februar war das Collegium 1704 zuletzt in Dresden gewesen, im März dann hatten alle Konzerte und Reisen abgesagt werden müssen. Nicht nur die Musikbrücke Prag-Dresden und die Reihe im Prague Crossroads (Zentrum Prager Kreuzung in der Kirche der Heiligen Anna) waren ausgefallen, sondern sämtliche europaweiten Konzertreisen. Die Zeit (auch die Passions- und Osterzeit) hatten Václav Luks und sein Collegium mit Streaming-Auftritten und online-Videos überbrückt – bis zum vergangenen Mittwoch. »Jetzt müssen wir diese düstere Periode mit einem positiven Konzert, mit einem richtigen Konzert mit Publikum, beenden«, sagte der Leiter des Collegiums 1704 vorab.
Im Zentrum Prager Kreuzung war dieser positive Auftakt ein Sonderkonzert zum Wiedereinstieg ins reale Musikleben. Für viele der Beteiligten, sowohl den Chor und das Orchester betreffend wie das Publikum, war es das erste »analoge« musikalische Ereignis seit Monaten. In Tschechien dürfen mittlerweile wieder Konzerte vor Publikum stattfinden, in dieser Woche wurde die zulässige Anzahl der Besucher sogar von 500 auf 1000 heraufgesetzt. So viele waren es dann nicht (dafür wäre der Raum auch zu klein), aber es war eben wieder einmal ein »richtiges« Publikum, das am Ende begeistert applaudierte. Schließlich hatte es vom Collegium 1704 in Kammerbesetzung einiges zu hören bekommen.
Für das positive Zeichen hatte Václav Luks ein heiteres Programm versprochen und begann – mit einem Duell. Für Georg Friedrich Händels »Il duello amoroso« (Das Liebesduell), HWV 82, betraten Helena Hozová als Amarilli und Aneta Petrasová als Daliso das Podium. Was hier ausgefochten wurde, war aber kein eskalierender Streit, sondern ein Duett, in dem die Leidenschaft(en) und die Liebe auf Ihre Treue (oder Treulosigkeit) ebenso geprüft wurden wie der Charakter – ist Dalisos Eifersucht berechtigt oder von Egoismus überhöht?
Noch in kleiner Besetzung (die Kantate ist für Sopran, Alt, zwei Violinen und Basso continuo geschrieben) leuchtete das Collegium die emotionalen Zustände klar aus: Daliso scheint in seiner Erklärung an Amarilli manches zu beteuern und zu offenbaren, doch vor allem betet er die Liebste an. Aneta Petrasovás Alt ist mit den Jahren noch runder, voller, samtiger geworden. Er ist mit einer Farbe wie schimmerndes Altrosa gezeichnet und frei von betonter Kraft. Amarillis Antwort war gefühlvoll lodernd und feurig: Helena Hozovás Sopran konnte mühelos in Brillanz streiten – Amarilli streitet gern mit Daliso, schien es. Bitterste Vorwürfe waren es aber nicht. Wenn Aneta Petrasová im Melisma mit Genuß verweilte, trieb Helena Hozová das Geschehen immer wieder an und entfacht es mit Tonsprüngen wie in »Quel nocchiero che mira le sponde« – das Steuer der Liebe wird von beiden hin- und hergerissen. Dalisos Aria »E vanità d’un cor« schmiegte sich kurz darauf als lebensvoll wiegendes Adagio in den Konzertraum.
Das instrumentale Collegium 1704 ist selbst mit wenigen Musikern ein Erlebnis – es läßt die Musik pulsieren, belebt sie mit Frische und Rhythmus ohne extreme Tempi. Es gehört zu den herausragenden Qualitäten Václav Luks‘, dies immer wieder »abrufen« zu können und dabei lebendiges Musizieren hervorzubringen, wobei er auf übertriebene Gesten, Akzente oder übereiltes Prestissimo verzichten kann. Im Orchester gibt es dabei (wie im Chor) Musiker, die auch solistisch jederzeit für leuchtende Augen sorgen, sei es die Konzertmeisterin Helena Zemanová, welche Händels Sinfonia auf ihrem Instrument sang, oder später Julie Braná auf der Flöte.
Doch zunächst erfrischte Antonio Vivaldis Concerto in g-Moll, RV 157, das Publikum. Igor Strawinsky boshaftes Bonmot, der Komponist habe 600 Mal das gleiche Konzert geschrieben, wird durch solche Interpretationen leicht widerlegt. Beherzt gingen die Musiker das Allegro an, beeindruckten mit der Klangfülle ebenso wie mit solistischer Prägung der Stimmen. Daß diese sich homogen fügten, schien selbstverständlich, doch so ist es eigentlich gar nicht – das sollte man sich manchmal vergegenwärtigen, während man genießt.
Wem die leidenschaftlichen Streitereien des Anfangs zu wenig heiter waren, der durfte sie in Johann Sebastian Bachs »Kaffee-Kantate« BWV 211 dann unverhohlen auskosten. Ach, was sind das für Zeiten gewesen, als der Kaffeekonsum der Töchter noch die größte Sorge der Eltern war! Der Vater sieht offenbar die vollkommene Verwahrlosung seiner Tochter Liesgen voraus, die auch so gar nicht bereit ist, einzulenken. (Man stelle sich den zeternden Herrn Schlendrian heute vor, wie er vor dem Coffee-to-go-Stand wettert, barmt und Fäuste schüttelt, während Liesgen ihn via Instagram ins Netz stellt.) Erst als er der Tochter einen Mann »in Aussicht« stellt, erklärt sie sich bereit, vom Kaffee zu lassen. Freilich ist Liesgen pfiffig genug, die Bewerber auf die Kaffeefrage hin zu sortieren. (K.-o.-Kriterium nennt man das heute.)
K. o. ging der Vater dann doch nicht, denn Roman Hoza hatte ebensoviel Vergnügen an der Figur, schimpfte augenrollend und fand sich selbst ach so klug. Daß Herr Schlendrian längst vorgeführt ist, konnte der Baß mit Selbstironie in seinen Vortrag spielend einfließen lassen. Liesgen (Helena Hozová) behielt die Fäden in der Hand, vermochte ebenso zickig »nein!« zu sagen wie in kürzester Zeit zutraulich und anschmiegsam zu werden. (Wehe den Vätern, die auf solche Schauspielkunst hereinfallen!) Die Köstlichkeit des Kaffees unterstrich Julie Braná auf der Flöte, die Helena Hozová duftig und süß begleitete! Allwissend, unberührt und nüchtern blieb nur einer: der Erzähler, Ondřej Holub, dessen Tenor mit klarer Helle über dem Familienzwist schwebte.
Bach mit dem Collegium 1704 ist alles andere als kalter Kaffee. Bei so klangvoller Charakterzeichnung bereitet das Konzert schon Vergnügen. Auf künftige Projekte und die Wiederaufnahme der Konzertreihen kann man sich nur freuen.
26. Juni 2020, Wolfram Quellmalz
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