Dresdner Kammerchor führt Radiokonzert noch einmal »echt« auf
Am 30. Mai hatte Hans-Christoph Rademann mit seinem Dresdner Kammerchor das Programm schon einmal an gleicher Stelle aufgeführt. Damals war es nur von Mikrophonen gehört und wenige Tage später im Radio gesendet worden. Unter den neuen Bedingungen konnten sie es nun noch einmal für ein Publikum wiederholen. Ein Geschenk, wie eine Besucherin sagte – so wie sie dürften es viele empfunden haben.
Die Sorgen der Musik- und Kulturfreunde sind derzeit mannigfaltig. Sie beziehen sich nicht nur auf Fortbestand und Existenz von Ensembles, Orchestern oder Veranstaltungshäusern, sondern auch auf deren Befindlichkeit, den »Gesundheitszustand«. Wie schnell kann man einen Probenrückstand nach dem vollständigen Ausfall aufholen, kompensieren? Oder führt das wochenlange Pausieren bzw. die Stimmpflege nur im einzelnen nicht unweigerlich zu einem Verlust an Qualität, an Homogenität, an Niveau?
Wenn die Basis stimmt und die Pflegemaßnahmen gezielt erfolgen, kann zumindest ein Ensemble von der Qualität des Dresdner Kammerchores wieder da anknüpfen, wo es aufgehört hat. Am Dienstag in der Annenkirche hatten fünfzehn Sängerinnen und Sänger genauso Aufstellung genommen, wie sie es schon für den Radiomitschnitt getan hatten (zu sehen auf der Seite des Deutschlandfunks): im Kreis, wobei die Stimmen in Vierteln verteilt waren (im Uhrzeigersinn: Sopran, Tenor, Baß, Alt). Und das verblüffte gerade die unten im Kirchenschiff sitzenden Besucher besonders, denn eigentlich ist diese Ordnung ungünstig (und läßt sich nicht eben gut dirigieren), da die Stimmen nicht nach vorn in die Kirche strömen konnten, sondern radial entlang eines Kreises. Dennoch und trotz der zugunsten der Homogenität zusammengefaßten Stimmgruppen ergab sich ein vollkommen ausgeglichener Klang, der keine der Stimmen verdeckte oder übermäßig dominant scheinen ließ.
Und auch die Textverständlichkeit des Chores ist nach wie vor hervorragend. Manche der Stücke, wie »Abschied vom Walde« aus Felix Mendelssohns Sechs Liedern im Freien zu singen Opus 59, gehören zu den liebsten Chorwerken, deren Texte man kennt, bei anderen, wie Ernst Kreneks unglaublichen »Die Jahreszeiten« Opus 63, war es um so beeindruckender, der in der Musik beschriebenen Empfindung und dem Text so mühelos folgen zu können. Schließlich hatte Hans-Christoph Rademann mit ein paar Worten zur Einführung nicht nur die Herzen der Zuhörer aufgeschlossen, sondern deren Ohren sensibilisiert. Darin lag ein Schlüssel nicht nur für das musikalisch gestaltete Auf und Ab der Berge, sondern ebenso für Kreneks Musik nach Worten Friedrich Hölderlins: Textdichter und Komponist kontrastieren die Jahreszeiten erstaunlich plastisch. Der Sommer ist der licht-, wärme- und lebensvolle Höhepunkt des Jahres, den man in Herbst, Winter und Frühling, in die sich karge, fahle Klänge mischen, mißt. Doch wurden die Nuancen der Frühjahrsblüte oder die Vollendung im Herbst deutlich. Wenn wiederum die »Stunden des Sommers« schwanden, gab der Kammerchor diesem Verlöschen eine natürliche Bedeutung ohne überspitzte Zuweisung mit. Und der Winter birgt bereits – noch in der Schlußzeile – den Anfang des Frühjahrs.
Gerade die Stimmung, die der Kammerchor so fein herausarbeitete, war wohltuend. Nach Mendelssohns erquickend lieblichen Gesängen war Krenek wohl für viele eine seltene und bereichernde Erfahrung mit romantischer Zwölftonmusik. Die »Ufer« der Chormusik sind aber mannigfaltig, wie Johannes Brahms ungemein kunstvolle Fünf Gesänge Opus 104 und Antonín Dvořáks titelgebendes »In der Natur« bewiesen, das wiederum stark dem Volkslied verhaftet ist. Doch es waren nicht die unterschiedlichen Grade Licht oder kunstvoller Gehalt, die der Chor herausstellte, sondern der vertiefte und berührende Zusammenhang von Musik und Inhalt. Brahms Gesängen zum Beispiel ist oft ein innerliches Jubilieren und Glühen eigen, das sich nicht lautstark oder expressiv den Weg bahnte, sondern von Herzen zu kommen schien. In »Verlorene Jugend« wurde das Brausen der Berge spürbar, bevor der Zyklus sich in einen lebenswarmen Höhepunkt steigerte (»Im Herbst«).
Ob »Wegweiser« oder für die Seelenhygiene – solche Konzerte sind unverzichtbar, zwei Wiederholungen waren daher obligatorisch.
22. Juli 2020, Wolfram Quellmalz
Das nächste Konzert des Dresdner Kammerchores in der Region ist noch nicht (sicher) geplant. Dafür gibt es aber weitere Konzert- und CD-Aufzeichnungen im Radio. Termine und weitere Informationen finden Sie unter: http://www.dresdner-kammerchor.de
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