Sir András Schiff dedizierte sein Capell-Recital Peter Schreier
»Normalerweise« wäre so vieles anders, als es momentan ist. Sitzpläne und Konzertformate gehören zu den offensichtlichen Anpassungen, doch darf man vermuten, daß der aktuelle Capell-Virtuos Sir András Schiff sein Sonntagsrezital »sonst« vielleicht auf zwei verschiedenen Flügeln gespielt hätte. Neben dem Bösendorfer 280VC hätte er vielleicht einen Bechstein für Haydns Sonate und dessen Capriccio mitgebracht, ja wenn …
Ohne Wenn und Aber ist der Bösendorfer ein phantastisches Instrument, das ebenso schön klingt, wie es – dank Mahagonimaserung – aussieht. Von allein spielt es allerdings nicht.
András Schiff kürzte zunächst das Programm, auf Haydns Capriccio (Phantasie G-Dur) mußten die Zuhörer verzichten, doch wurde innerhalb des zulässigen Rahmens damit Platz für Zugaben. Und die begannen mit einem Gruß an den verstorbenen Freund Peter Schreier, dem »Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders«. In der Liebe zu Bach, erklärte András Schiff vorab, haben sich beide kennengelernt. Das Capriccio ist vermutlich dem älteren Bruder Johann Jacob gewidmet. Als dieser 1704 in die Kapelle des Schwedischen Königs eintrat, mußten beide davon ausgehen, sich nicht mehr wiederzusehen. Den Noten Bachs entsprechend muß der Abschied ein herzlicher gewesen sein.
Mit Joseph Haydns Sonate g-Moll Hob. XVI:44 kehrte András Schiff zum ursprünglichen Programm zurück. Sehr wohl ist sie strukturierter, gesetzmäßiger als eine Phantasie, doch sind ihr leichte, phantasievolle Züge eingeschrieben. Und der Bösendorfer erwies sich als wandlungsfähig: mit Brillanz und Leichtigkeit zeichnete der Capell-Virtuos das zweisätzige Stück in die Semperoper, klangvoll, schlank, frei.
Natürlich werden auch Zwischenpausen derzeit knapp gehalten. Der Kontrast vom Lehrer Haydn zum Schüler Beethoven hätte so kaum größer ausfallen können! Allerdings liegen gut dreißig Jahre zwischen Haydns Sonate und Beethovens »Waldstein«. Statt Freiheit und Phantasie atmete sie zunächst Spannung, und das in höchstem Grade. Zwischen vorantreibenden, fast hämmernden Bässen und frei bewegliche Läufen in der Melodie zauberte András Schiff mit jeder Wendung neue Impulse – jeder Aufschwung hatte eine musikalische Folge. Die Steigerung endete ausgerechnet im kurzen Mittelsatz, der mit Ruhe und Ausgewogenheit ein ungeheures Plateau darstellte. Von hier ging es – nun mit Gelassenheit – direkt ins Rondeau. Sogleich aber ließ der Pianist aus den gegenläufigen Anregungen neue Spannung wachsen, fügte Nebenlinien ein, als seien sie leichthin Ornamente – mitnichten! In einem kleinen Seitenschritt vor dem Finale schien Beethoven seinen Lehrer Haydn noch einmal zu grüßen, bevor das Stück vergoldet verklang.
Doch stand den Zuhörern noch ein Spannungssprung bevor, zu Franz Schuberts Klaviersonate G-Dur (D 894). Dabei beginnt sie in verhältnismäßiger Ruhe, doch András Schiff unterließ es auch hier nicht, die Grundspannung durch weiter Schattierung zu steigern, eine leichte Dämpfung wirken zu lassen, als hielte man den Atem an – dieser Schubert war ganz musikgewordene Empfindung! Mit samtenen Baß und hervorgehobenen Gegensätzen schritt der Pianist durchs Andante, kostete genüßlich das Menuett aus. Was zuvor noch voller Gegensätze und Spitzen schien, die anregten und pulsten, band András Schiff im Rondeau zu einem runden, fließenden Abschluß.
Doch nicht ganz, denn – es mußte sein: mit Schuberts Impromptu Ges-Dur (wohl das schönste, was man musikalisch nachsetzen kann) und der Aria aus den Goldbergvariationen gab der Pianist dem Publikumswunsch nach.
13. September 2020, Wolfram Quellmalz
Sir András Schiff tritt am Dienstag kommender Woche im Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle mit dem 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms auf. Außerdem auf dem Programm steht Antonín Dvořáks siebente Sinfonie (Leitung: Myung-Whun Chung). 22. September 2020, 20:00 Uhr, Kulturpalast Dresden