Varianten- und Farbenreichtum

Kreuzvesper vor dem Sonntag Kantate

»Singet dem Herrn ein neues Lied« (Psalm 98) heißt es eigentlich am Sonntag Kantate, dem vierten nach Ostern. Doch das Singen ist uns – abgesehen von zu Hause – momentan verwehrt. Glücklicherweise gehe der Text aber weiter und komme im zweiten Teil auf das Wunder zu sprechen, meinte Pfarrer Holger Milkau und nahm am Sonnabend in der Dresdner Kreuzkirche die Wendung in sein Wort auf, verwies auf das Wunder und dessen Bedeutung in der Musik, auch außerhalb der Kirche: Wer kennte nicht das durch Zarah Leander berühmtgewordene Lied »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n«?

Kreuzorganist Holger Gehring hatte für die Kreuzvesper ein Programm zusammengestellt, das bei nur fünf ausführenden Musikern eine erstaunliche Vielfalt offenbarte. Diesmal stellten Stefan Kunath (Altist), Anne Schumann (Barockviola), Alma Stolte (Viola da Gamba und Barockvioloncello), Ulla Hoffmann (Violone) sowie Holger Gehring (Orgeln / Leitung) die Capella Sanctae Crucis Dresden. Ganz ohne ein hohes oder Sopraninstrument also – keine Oboe, Flöte oder Violine – mußte die Gemeinde keineswegs auf Glanz oder frohe Töne verzichten, im Gegenteil.

Mit der Phantasie bzw. dem Pièce d’Orgue G-Dur (BWV 572) an der großen Orgel begann die Vesper schon ungewöhnlich. Zunächst mutet das Stück wie eines für die Flötenuhr an, verspielt und leicht, außerordentlich hell, doch gewann es bald nicht nur an Strahlkraft, entwickelt eine regelrechte Mächtigkeit, jedoch keine drückende, sondern eine beeindruckende.

Auf den etwas »anderen« Bach folgte einer seiner Lehrer oder Vorbilder – Dietrich Buxtehude. Mit der Kantate Domino für Altstimme, Viola da Gamba und Basso continuo entfaltet sich ein honiggleicher Farb-Ton, schmeichelnd, wohltuend, wobei nicht nur der Wechselgesang von Altus und Viola da Gamba hervortrat, der Violone konnte deutlich über seine Baßfunktion hinaus eine tragende Gesanglichkeit entfalten.

In Alt- (oder Honig-)Lage ging es weiter, denn auch Jean Baptiste Loeillets Sonate G-Dur erklang mit Viola und Orgel, bevor Stefan Kunath mit der Arie »Gott hat alles wohlgemacht« aus der Kantate »Geist und Seele wird verwirret« den frohen, zuversichtlichen Charakter fortführte. Die diesmal wieder zahlreiche Gemeinde dürfte viel von dieser positiven Stimmung mitgenommen haben – es war schlicht berührend, einerseits wegen der ausgewogenen, stimmungsbetonten Aufführung, andererseits gelingt der Kreuzkirche immer wieder eine zwar meist knappe, aber dennoch fokussierte Darstellung. Insofern war das Choralvorspiel »Gott ist mein Lied« (Johann Sebastian Bach) an der großen Orgel ein schlichtes, aber sehr nahbares Beispiel, ein kontemplativer Ruhepunkt.

Im Abschluß fanden sich alle beteiligten Sänger und Musiker der Capella Sanctae Crucis Dresden für Rupert Ignaz Mayrs Beati omnes (»alle[s] glücklich«) zusammen. Das Glück der und durch die Musik kam noch einmal vielgestaltig daher: Mit ariosen und rezitativischen Abschnitten durchmaß Stefan Kunath den Text, Holger Gehring sorgte für stetigen musikalischen Fluß. Stefan Kunaths Altus bewies – trotz Zwangspausen – die gewohnte Spannweite, so daß sich Betonungen und dramaturgische Schärfung ohne spitze Überhöhung, ganz dem Text folgend, bis zum erlösenden »Amen« fortsetzen konnten. Musikalische Neu- und Wiederentdeckungen und ein inhaltlicher Rahmen – mehr konnte man sich kaum wünschen!

1. Mai 2021, Wolfram Quellmalz

In der nächsten Kreuzvesper wird die Vokalgruppe VIP mit ehemaligen Thomanern und Kruzianern erwartet. Weitere Informationen zu Termin und Programm demnächst unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

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