Moritzburg Festival experimentiert und durchforscht die Musikliteratur
Claude Debussys Six sonates pour divers instruments sind nicht allein dem Impuls der Inspiration zu verdanken, sie folgen einem patriotischen Ausdruckswillen. Und sie sind insofern tragisch, daß der bereits erkrankte Komponist nur noch drei Stücke daraus vollenden konnte. Mit der Sonate für Flöte, Viola und Harfe hat er gleichwohl ein Standardwerk geschaffen, das sich jedem Standard entzieht. Magali Mosnier, Matthew Lipman und Johanna Schellenberger begannen mit diesem Solitär das Abendkonzert des Moritzburg Festivals am Mittwoch. Debussys Genialität hat ihm eine Unbeschwertheit beschwert eingepflanzt, die nicht zu patriotischem Nachdruck oder Tragik führt, sondern schwebende Klänge bevorzugt. Magali Mosniers Flöte geriet in einen vitalen Austausch mit Matthew Lipmans Viola, die Harfe schien beide zu umschließen oder ihnen wahlweise den Weg zu ebnen. Nach dem flüchtig scheinenden Anfang der Pastorale wurde die Struktur der Sonate konkreter, beweglicher. Das von allen drei Spielern gleichermaßen ungeheuer perkussiv präsentierte Finale näherte sich tänzerisch immer mehr der Form einer Habanera, womit Mosnier, Lipman und Schellenberger ihr Begeisterungspotential noch unterstrichen.
Solches hat auch die Stimme von Chelsea Guo, zumindest, wenn man für ihre dramatische Emotionalität empfänglich ist. Jedoch kann dies von manchen Intonationsschwierigkeiten und einem grundsätzlichen Problem im Konzept nicht ablenken, denn die Sopranistin begleitet sich gern selbst. Das ist nicht deshalb irritierend, weil man es nicht gewohnt ist, sondern weil sich – fürs Konzerterlebnis nicht unwesentlich – die Sängerin vom Publikum abwendet. Nicht nur das, sie ist auch oft auf die Noten fokussiert und singt nicht frei in den Raum, sondern »aufs Blatt«, was bereits ihren Vortrag von Robert Schumanns »Frauenliebe und -leben« im Vorabendportrait beeinträchtigte. Zuvor hatte Guo in den »Kinderszenen« gezeigt, daß sie durchaus frei und differenziert vorzutragen vermag.
Für Franz Schuberts »Auf dem Strom« (D 943), welches im Abendkonzert auf dem Programm stand, war die vorgesehene Pianistin aufgrund der Reisebeschränkungen nicht verfügbar, Chelsea Guo übernahm den Klavierpart selbst. Am fast senkrecht aufgestellten Flügel saß sie damit weit hinten im Raum, so daß auch ihre Stimme wie weit aus dem Hintergrund klang. Im Verhältnis wirkte Jan Voglers wunderbar kantables Violoncello dominant, zudem war es noch schwieriger (selbst wenn man mitlas), dem Text zu folgen. Wie gesagt: emotional konnte Chelsea Guo durchaus berühren, aber im Vergleich mit einem Liederabend war die Darbietung enttäuschend.
Neben der Stimme zählt zum Lied eben die Begleitung, und dafür steht in Moritzburg in diesem Jahr ein vielfarbiger Bösendorfer zur Verfügung, ein ganz neues Modell. Louis Lortie übernahm den 230CV für César Francks Klavierquintett f-Moll, das über weite Strecken vom Kontrast des Pianos und des Streichquartetts (Kevin Zhu und Nathan Meltzer / Violinen, Lars Anders Tomter / Viola und Jan Vogler / Violoncello) lebt. Daß Kolorit und Struktur eine Synthese eingehen können, zeigte sich schon im ersten Satz, der vom Molto moderato quasi lento ins Allegro immer weiter zu wachsen schien. Louis Lortie konnte ebenso prägnant aus dem Verbund heraustreten wie delikat am Hintergrund weben. Und im Quartett, wiewohl oft geschlossen, setzten die vier Spieler immer wieder persönliche Akzente – da war es wieder, dieses Moritzburggefühl, wenn fünf Individualisten zu einer Einheit verschmelzen, obwohl sie sich nur hier sehen und sonst im Jahr eigene künstlerische Wege verfolgen.
19. August 2021, Wolfram Quellmalz