Ragna Schirmer präsentierte »Lebenslinien« in der Villa Teresa
Mittlerweile gibt es für Ragna Schirmer noch einen Grund mehr, gerne nach Coswig zurückzukehren: denn abgesehen davon, daß sie hier schon auf ein Stammpublikum zählen darf, gehört sie zu jenen Pianisten, die sich dezidiert mit dem Instrument, also auch dem historischen Flügel, auseinandersetzen. Die Villa Teresa, einst bewohnt von der Pianistin Teresa Carreño (nach der das Haus benannt wurde) und Eugène d’Albert, beherbergt unter anderem noch den originalen Konzertflügel des Komponisten, einen Steinway & Sons (Nr. 92001) aus den 1870er Jahren. Mittlerweile ist das einzigartige Instrument restauriert und steht für Konzerte zur Verfügung. Ragna Schirmer hatte eigens dafür aus ihrem Fundus ein Programm zusammengestellt.
Und das begann bei Wolfgang Amadé Mozart, dem Adagio aus der Phantasie c-Moll (KV 475). Kernig, zupackend nahm die Pianistin das Stück, verlieh ihm Struktur und die Konturen einer Sonate – man ist es durchaus leichter, freier gewohnt, aber der Vergleich soll schließlich nicht immer zum Gleichen führen.
Sonst gäbe es keine solchen Zugaben wie die drei Polonaises melancholiques des Mozart-Sohnes Franz Xaver. Wenn überhaupt, sind noch seine Klavierkonzerte bekannt, »geläufig kann man kaum sagen. Dabei erweisen sich gerade kleine Stücke oft als originär und ergötzlich – wie auch hier. Die »Tanzförmchen« (Schirmer) erwiesen sich als äußert galant (h-Moll), nachdenklich bis sprunghaft (a-Moll) sowie energisch, fast marschartig (c-Moll).
Mit drei Werken des Ehepaares Schumann nahm Ragna Schirmer dann einen Faden auf, dem sie schon seit Jahren folgt. Nicht nur Robert und Clara gehören zu ihren »guten Bekannten«, auch die Personen um sie herum oder in weiterer Nähe (aber noch in »Hörweite«). Insofern paßten die beiden Mozarts, mit dessen jüngerem Robert Schumann befreundet war, gut in die »Lebenslinien« des Nachmittages.
Ob in den »Papillons« von Robert Schumann oder (nach der Pause) den Quatre pièces caractéristiques von Clara sowie dem Carnaval von Robert – das Künstlerehepaar war sich Anregungs- und Imaginationsquell, zitierten einander und stellte tatsächliche Personen seines Umfeldes wie ebenso erdachte dar. Ragna Schirmer folgte den fein ziselierten Spuren, den charmanten, mädchenhaften ebenso (welche zu Schreiben auch Robert Schumann vermochte) wie den derben, burschikosen (sic Clara!). Gerade die Quatre pièces caractéristiques zeigten deutlich, daß noch manche Pretiose zu entdecken oder wiederzuhören ist. Und selbst den (scheinbar) gut bekannten verleiht die Pianistin nicht nur durch ihren Ausdruck eine unnachahmliche Wirkung, sie variiert sie zuweilen ganz nach historischen Vorbild und Stil. Gestern gab es den Carnaval in der Fassung von Robert Schumann, also incl. der später von Clara manchmal »wegretuschierten«, (ihr) unerwünschten Frauenfiguren.
Zwei Stunden Musik in einem der schönsten Salons der Umgebung – da durfte zum Schluß noch ein guter Bekannter vorbeischauen. Robert Schumann hatte sich einst begeistert in die Werke Frédéric Chopins gestürzt (und Clara darüber berichtet), als Zugabe folgte so die Étude cis-Moll aus Opus 10.
13. Februar 2022, Wolfram Quellmalz