Winfried Bönig an der Orgel der Hofkirche Dresden
»Musik zur Passionszeit« stand im Jahresplan über dem gestrigen Konzert des Dresdner Orgelzyklus‘. Ursprünglich geplant waren auch Werke (oder ein Werk) von Wolfgang Amadé Mozart, doch ob sich nur dieses oder sonst manches geändert hatte – nach Passionszeit klang diesmal weniger, dafür allerdings durchaus nach Passion – der Passion des Orgelspiels, bei dem der zweite Teil des Wortes durchaus betont werden darf. Das Resultat war ein streckenweise geradezu fröhliches Programm –Seelenpflege sozusagen, kommt sie doch gerade jetzt allzu recht.
Dabei hatte der Kölner Domorganist durchaus Werke mit »strenger« Architektur im Programm, wie Johann Sebastian Bachs (Dorische) Toccata und Fuge d-Moll (BWV 538). Doch ist eben »streng« bzw. »ernsthaft« nicht zwangsläufig mit »ernst« oder »schwer« in der Stimmung gleichzusetzen. Im Gegenteil lag Bachs Genialität ja unter anderem gerade darin, sich dieser Architektur zu bedienen, sie nicht nur zu gestalten, sondern ihr auch etwas einzuverleiben. Winfried Bönig ließ die Toccata aufjubeln – ein festlich-fröhlicher Auftakt, dem er später eine höchst konzentrierte Fuge nachsandte. Dazwischen hatte Winfried Bönig die Choralbearbeitung »An den Wasserflüssen Babylon« (BWV 653) gefügt, welche in sich den Choral wohlbewahrt eingebettet trug. Während der Organist sonst gerne eine flotte Spielweise anstrebte, ließ er der Gesanglichkeit hier ausnehmend Zeit, ihren ganzen Klang zu entfalten, wobei Winfried Bönig nicht laut verkündende Register gewählt hatte, sondern sanft schmeichelnde, der menschlichen Stimme nahekommende.
Etwas flotter wurde es nach Bach – Johann Pachelbels Ciacona f-Moll verzückte mit ihrer Feingliedrigkeit und Mehrstimmigkeit bzw. dem Duett der Stimmen, was an für Violine oder Gambe geschriebene Gattungsschwestern erinnerte – feinste Kammermusik!
Mit einer anonym aus Augsburg überlieferten Sonate wechselte Winfried Bönig erneut die Gangart. Flinke Spielfiguren wirbelten über einem nur anfangs bedenklich mahnenden Baß – die »kleine« Sonate vollführte durchaus akrobatische, wenn nicht circensische Sprünge, beeindruckte und sorgte für Schau- bzw. Höreffekte – ergötzliche Unterhaltung eben, dafür, für ein Vergnügliches, aber anspruchsvolles Spiel, war sie ursprünglich wohl gedacht. Auf der Silbermannorgel hört man solches freilich selten.
Da konnten sich die Luftströmungen eher bei Georg Böhms (nein, nicht »streng«!) »Jesu du bist allzu schöne« beruhigen. Die Partita über das alte Kirchenlied konnte ihrerseits eine Fröhlichkeit kaum verbergen und endete etwas überraschend plötzlich bzw. offen – war Böhm so modern?
Vielleicht – ganz sicher war Carl Philipp Emanuel Bach modern. Sein Vater soll sich darüber leicht kritisch, nicht unbedingt anerkennend geäußert haben (»das ist nur Berliner Blau«). Die Sonate F-Dur (Wq 70 / 3) erinnert in manchem an die festlich-fröhlichen Orgelwerke Georg Friedrich Händels, zeigen andererseits aber eine viel modernere Sonatenform auf. Kontrastreich sowohl zwischen den Sätzen wie innerhalb ihrer kann sie funkeln, scheint aber mit ihrem eben auch recht filigranen Werk nach einer kleinen Orgel oder sparsamen Registrierung zu verlangen. Manche Farbwechsel gerieten Winfried Bönig etwas wuchtig und schnell.
Oder war es einfach eine ausgelassene Stimmung des Abends? Sie fand zumindest bei Jacques-Nicolas Lemmens eine Fortsetzung und ihren circensischen Höhepunkt. Unterhaltungsmusik im besten Sinne, zeigten Fanfare, Cantabile und Finale schließlich auch, daß es neben der sakralen und der konzertanten Musik (welche dennoch oft für den Kirchenraum komponiert wurde) ein Bereich der Orgelmusik existiert, der sich in Konzerthäusern, Varietés und an anderen Orten etabliert hat. Auch solche Stücke kann man mit Passion spielen!
31. März 2022, Wolfram Quellmalz
Nächste Konzerte im Dresdner Orgelzyklus: 6. April: Martin Strohhäcker / Frauenkirche, 13. April: Bernhard Haas / Kulturpalast, 20. April: Ulfert Smidt / Kreuzkirche sowie 27. April: Matthias Maierhofer / Katholische Hofkirche (Kathedrale)